Wohn- und Geschäftshaus - Wiener Straße 9/Herrengasse 2 - Dr. Karpfen
ErinnerungsortWohn- und Geschäftshaus - Wiener Straße 9/Herrengasse 2 - Dr. Karpfen
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Wohn- und Geschäftshaus – Wiener Straße 9/Herrengasse 2 Die jüdischen Ärzte & Dr. med. Karpfen und Tochter Alice Goldner Im Vergleich zu anderen Städten in Niederösterreich war die Anzahl der jüdischen Ärzte und Rechtsanwälte in Wiener Neustadt außergewöhnlich hoch: Mehr als ein Drittel der frei ordinierenden Mediziner in Wiener Neustadt war jüdischer Abstammung; die Mehrheit der Zahnärzte war in den 1930er Jahren jüdischer Abstammung: Dr. Margarete Aldor (Neunkirchnerstraße 11), Dr. Bruno Bum (Hauptplatz 10), Dr. Michael Jaul (Hauptplatz 31), Dr. Simon Karpfen (Herrengasse 2), Dr. Sabine Rosenfeld (Herzog-Leopold-Straße 7) und Dr. Siegfried Schneider (Hauptplatz 18). Dr. Karpfen (*1864) hatte seine Ordination seit 1902 im zweiten Stock des Hauses Wiener Straße 9. Er zählte zweifellos alsbald zu den erfahrensten Zahnärzten der Stadt. Schon früh hatte er Eingriffe, wie zum Beispiel Zahnextraktionen, unter Narkose durchgeführt, wobei Schlafgas zum Einsatz kam. Außerdem wandte er solange Kokain als Betäubungsmittel an, bis es in der Zwischenkriegszeit in Österreich verboten wurde. Man könnte meinen, dass der über 70-jährige Dr. Simon Karpfen wegen seines Alters und der Anerkennung als Arzt, der im Gesundheitswesen der Stadt fast 40 Jahre gewirkt hatte, vonseiten der neuen nationalsozialitischen Führung 1938 geschont worden wäre, aber Karpfen der noch 1937 in der Adressenliste der Ärzte als aktiver Zahnarzt vermerkt war, wurde gemeinsam mit seiner Frau 1942 nach Theresienstadt abgemeldet und von dort am 23. September 1942 nach Treblinka überstellt. Beide wurden zu Opfern der Shoah. Dr. Karpfens in Wiener Neustadt geborene Tochter Alice (*1903) hatte 1934 den Rechtsanwalt Dr. Franz Goldner (*1903), der seine Kanzlei in der nahen Herzog-Leopold-Straße 26 führte, geheiratet. Dem Paar, das 1938 nach Wien, in die Neustiftgasse 31/26, vertrieben worden war und nach Paris ausreiste, gelang die Flucht in die USA. Alice verfasste in den 1980er Jahren ein Buch mit dem Titel „...in dieser alten Stadt. Erzählungen von Lisl Goldner“, in das sie ihre Erinnerungen an ihre Geburtsstadt einfließen ließ und auch viele historische Tatsachen einband, wodurch die Erzählungen etwas Dokumentarisches gewinnen. Sie hütete sich aber ihren Namen zu nennen oder gar von einer Autobiographie zu sprechen. Dennoch gibt es viele Indizien dafür, dass sich in den inhaltlichen Darstellungen hinter den Personen Franz und Lore nur Franz und Alice „Lisl“ (Goldner) verbergen können, aber auch, dass es sich bei den Eltern, denen das Buch gewidmet ist, um das Ehepaar Karpfen handelt. (1.) So wird in einer der gesammelten Erzählungen im Buch beschrieben, dass Lore ihre Mutter nach ihrem Abschied in Wien „nie wieder“ sieht. – Das Ehepaar Karpfen wurde, wie beschrieben, 1942 tatsächlich deportiert und ermordet. (2.) Für Franz und Lore ging es in New York „dank ihrer vorherigen Ausbildung ... wieder bergauf“. Lore arbeitete in einer „Blumenfabrik“ und Franz konnte nach „notwendigen Prüfungen ... wieder in seinem ursprünglichen Beruf arbeiten“. – Alice Goldner hatte bereits vor ihrer Emigration berufliche Qualifikationen im Kunstgewerbe. Ihr Mann, Dr. jur. Franz Goldner, war in New York als Rechtsanwalt tätig und nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Rückstellungsverfahren in Wiener Neustadt involviert. Als Vorstandsmitglied der „American Association of Former Austrian Jurists“ bemühte er sich innerhalb dieser Organisation für die Anliegen und Interessen von emigrierten österreichischen Richtern und Rechtsanwälten. Quellen/Literatur: Archiv der IKG Wien Stadtarchiv Wiener Neustadt, Phonologisches Melderegister Lisl Goldner, ... in dieser alten Stadt. Erzählungen von Lisl Goldner, Wiener Neustadt 1982. Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010. Werner Sulzgruber, Lebenslinien. Jüdische Familien und ihre Schicksale. Eine biografische Reise in die Vergangenheit von Wiener Neustadt, Wien/Horn 2013.
Wohn- und Geschäftshaus - Hauptplatz 14 - Dr. Berstl
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Wohn- und Geschäftshaus – Wiener Straße 9/Herrengasse 2
Die jüdischen Ärzte & Dr. med. Karpfen und Tochter Alice Goldner
Im Vergleich zu anderen Städten in Niederösterreich war die Anzahl der jüdischen Ärzte und Rechtsanwälte in Wiener Neustadt außergewöhnlich hoch: Mehr als ein Drittel der frei ordinierenden Mediziner in Wiener Neustadt war jüdischer Abstammung; die Mehrheit der Zahnärzte war in den 1930er Jahren jüdischer Abstammung: Dr. Margarete Aldor (Neunkirchnerstraße 11), Dr. Bruno Bum (Hauptplatz 10), Dr. Michael Jaul (Hauptplatz 31), Dr. Simon Karpfen (Herrengasse 2), Dr. Sabine Rosenfeld (Herzog-Leopold-Straße 7) und Dr. Siegfried Schneider (Hauptplatz 18).
Dr. Karpfen (*1864) hatte seine Ordination seit 1902 im zweiten Stock des Hauses Wiener Straße 9. Er zählte zweifellos alsbald zu den erfahrensten Zahnärzten der Stadt. Schon früh hatte er Eingriffe, wie zum Beispiel Zahnextraktionen, unter Narkose durchgeführt, wobei Schlafgas zum Einsatz kam. Außerdem wandte er solange Kokain als Betäubungsmittel an, bis es in der Zwischenkriegszeit in Österreich verboten wurde.
Man könnte meinen, dass der über 70-jährige Dr. Simon Karpfen wegen seines Alters und der Anerkennung als Arzt, der im Gesundheitswesen der Stadt fast 40 Jahre gewirkt hatte, vonseiten der neuen nationalsozialitischen Führung 1938 geschont worden wäre, aber Karpfen der noch 1937 in der Adressenliste der Ärzte als aktiver Zahnarzt vermerkt war, wurde gemeinsam mit seiner Frau 1942 nach Theresienstadt abgemeldet und von dort am 23. September 1942 nach Treblinka überstellt. Beide wurden zu Opfern der Shoah.
Dr. Karpfens in Wiener Neustadt geborene Tochter Alice (*1903) hatte 1934 den Rechtsanwalt Dr. Franz Goldner (*1903), der seine Kanzlei in der nahen Herzog-Leopold-Straße 26 führte, geheiratet. Dem Paar, das 1938 nach Wien, in die Neustiftgasse 31/26, vertrieben worden war und nach Paris ausreiste, gelang die Flucht in die USA.
Alice verfasste in den 1980er Jahren ein Buch mit dem Titel „...in dieser alten Stadt. Erzählungen von Lisl Goldner“, in das sie ihre Erinnerungen an ihre Geburtsstadt einfließen ließ und auch viele historische Tatsachen einband, wodurch die Erzählungen etwas Dokumentarisches gewinnen. Sie hütete sich aber ihren Namen zu nennen oder gar von einer Autobiographie zu sprechen. Dennoch gibt es viele Indizien dafür, dass sich in den inhaltlichen Darstellungen hinter den Personen Franz und Lore nur Franz und Alice „Lisl“ (Goldner) verbergen können, aber auch, dass es sich bei den Eltern, denen das Buch gewidmet ist, um das Ehepaar Karpfen handelt.
(1.) So wird in einer der gesammelten Erzählungen im Buch beschrieben, dass Lore ihre Mutter nach ihrem Abschied in Wien „nie wieder“ sieht. – Das Ehepaar Karpfen wurde, wie beschrieben, 1942 tatsächlich deportiert und ermordet.
(2.) Für Franz und Lore ging es in New York „dank ihrer vorherigen Ausbildung ... wieder bergauf“. Lore arbeitete in einer „Blumenfabrik“ und Franz konnte nach „notwendigen Prüfungen ... wieder in seinem ursprünglichen Beruf arbeiten“. – Alice Goldner hatte bereits vor ihrer Emigration berufliche Qualifikationen im Kunstgewerbe. Ihr Mann, Dr. jur. Franz Goldner, war in New York als Rechtsanwalt tätig und nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Rückstellungsverfahren in Wiener Neustadt involviert. Als Vorstandsmitglied der „American Association of Former Austrian Jurists“ bemühte er sich innerhalb dieser Organisation für die Anliegen und Interessen von emigrierten österreichischen Richtern und Rechtsanwälten.
Quellen/Literatur:
Archiv der IKG Wien Stadtarchiv Wiener Neustadt, Phonologisches Melderegister
Lisl Goldner, ... in dieser alten Stadt. Erzählungen von Lisl Goldner, Wiener Neustadt 1982.
Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010.
Werner Sulzgruber, Lebenslinien. Jüdische Familien und ihre Schicksale. Eine biografische Reise in die Vergangenheit von Wiener Neustadt, Wien/Horn 2013.