Das ehemalige Geschäft Fruchter - Wiener Straße 26
ErinnerungsortDas ehemalige Geschäft Fruchter - Wiener Straße 26
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Das ehemalige Geschäft Fruchter – Wiener Straße 26 Zionisten & Kommissarische Verwaltung und „Arisierung“ 1938 Im Jahr 1927 gründete Josef Fruchter (*1895) seine „Seifen- und Parfümeriewarenhandlung“ in der Wiener Straße 26. Der fleißige jüdische Geschäftsmann etablierte seinen Betrieb als Einzelhandels- und Großhandelsunternehmen, das in der Stadt und der Region bekannt war. Fruchter belieferte nicht nur Kunden im Bezirk Wiener Neustadt, sondern auch Abnehmer in Neunkirchen, Baden und Mödling sowie im nahen Burgenland. Der erfolgreiche und steigende Verkauf von Seifen, Kerzen, Kosmetikprodukten, Waschmitteln, Parfümerie- und Toilette-Artikeln (zum Beispiel Bürsten, Kämme, diverse Düfte und Eau de Cologne nach Gewicht) ließ seine „Seifen- und Parfümeriewarenhandlung“ zu einem gut gehenden Betrieb mit sieben Angestellten – darunter auch seine Gattin Christine (*1905) – heranwachsen. Josef Fruchter war der letzte Obmann der Ortsgruppe des „Zionistischen Landesverbandes für Österreich in Wien“ vor 1938. Diese wurde 1920 gegründet und sollte unter anderem den „jüdisch-nationalen Gedanken“ wecken und fördern. Zu diesem Zweck wurde eine Jugendgruppe in Wiener Neustadt eingerichtet, denn den Jugendlichen galt seitens der Zionisten besondere Aufmerksamkeit. Um die jungen Menschen zu interessieren, setzte man lokal weniger auf politische Aufklärung, sondern auf soziale Aktivitäten – wie gemeinsame Ausflüge in die nahe Region – und sportliche Betätigung – wie Fechten und Boxen. Vereinsmitglieder erhielten ein Exemplar der „Jüdischen Zeitung“, es wurden Veranstaltungen, die der Verbreitung der zionistischen Idee dienten, organisiert und es wurde eine politische Gruppe namens „Vereinigte Wahlpartei der Zionisten und Fortschrittlichen Wr. Neustadts“ in der Kultusgemeinde gebildet. Ziel der Zionisten war die Schaffung eines jüdischen Staates, einer „öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte des jüdischen Volkes in Palästina“. Im März 1938 wurde Josef Fruchter sofort verhaftet und kam später in „gerichtliche Untersuchungshaft“ nach Wien. Die Fahrzeuge seines Betriebs wurden beschlagnahmt und kommissarische Verwaltungspersonen für die „Seifen- und Parfümeriewarenhandlung“ eingesetzt: Im Falle der Firma Fruchter waren es für eine kurze Zeitspanne sogar zwei Kommissare. Im Rahmen des „Anschlusses“ im März 1938 wurden einige jüdische Geschäftsinhaber verhaftet. Die „Arisierungen“ liefen anfangs noch in einer verhältnismäßig unorganisierten Form ab. Die im Prozess der Machtergreifung im März unmittelbar eingesetzten NS-Funktionäre setzten sofort Schritte der Enteignung und Beraubung: Parteigenossen beriefen sich auf ihre Autorität als NSDAP-Mitglieder oder als Funktionsträger und begannen mit Beschlagnahmungen. Jüdische Geschäfte und Betriebe wurden aufgesucht und die Inhaber aus ihren Firmen hinausgeworfen. Mitunter wurden bei diesen sogenannten „wilden Arisierungen“ in nur wenige Minuten neue Tatsachen geschaffen. Die auf diese Art und Weise, auch unter Gewaltanwendung, ihres Eigentums beraubten jüdischen Geschäftsinhaber waren von diesen Aktionen völlig überrascht. Es war für sie unvorstellbar, keinen Zutritt mehr zu „ihren“ Firmen zu haben und ihre Existenzgrundlage zu verlieren. Mit der Verhaftung der Eigentümer und dem Entzug aller Genehmigungen konnten die „Arisierungen“ ohne Widerstand durchgeführt werden. Die Abwicklungen wurden von kommissarischen Verwaltern bzw. Leitern vorgenommen, die in Wiener Neustadt ab März und April 1938 oft schon lange vor ihrer definitiven Bestätigung durch die NS-Behörden aktiv waren. Ab April 1938 besetzte die NSDAP-Kreisleitung manche Verwalter-Stellen (für fabriksmäßige und gewerbliche Betriebe, Praxen, Kanzleien und Geschäfte) neu. Die Kommissare wurden dann in einem behördlichen Prüfverfahren durch die Vermögensverkehrsstelle Wien bestätigt, was in Wiener Neustadt meist im Mai 1938 der Fall war. Die kommissarischen Verwalter prüften zuerst die Vermögenslage der jüdischen Firmen und leiteten die Überführung des jüdischen Eigentums in „arischen“ Besitz. Die „Kennzeichnung jüdischer Betriebe“, die „Anmeldung des jüdischen Vermögens“ und das Anlegen einer „Juden-Kartei“ (auf der Basis der „Nürnberger Rassengesetze“) waren beispielsweise Schritte auf dem Weg zur völligen Entrechtung der jüdischen Bevölkerung. In Wiener Neustadt hatte man ab dem März in den Auslagen Kennzeichnungen – mit Bezeichnungen als „Jüdisches Geschäft“ oder „Deutsches Geschäft“ – vorgenommen. Es gab sogar die Funktion eines sogenannten „Generalabwicklers“ in der Person von Ing. Fritz Helmling, also eines Verwalters für eine große Anzahl jüdischer Unternehmen. Insgesamt verlief die Enteignung und Beraubung der jüdischen Minderheit in Wiener Neustadt sehr rasch ab, 1939 war der Großteil aller „Arisierungen“ abgeschlossen. Quellen/Literatur:Werner Sulzgruber, Die jüdische Gemeinde Wiener Neustadt. Von ihren Anfängen bis zu ihrer Zerstörung, Wien 2005. Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010.
Wohn- und Geschäftshaus - Wiener Straße 9/Herrengasse 2 - Dr. Karpfen
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Das ehemalige Geschäft Fruchter – Wiener Straße 26
Zionisten & Kommissarische Verwaltung und „Arisierung“ 1938
Im Jahr 1927 gründete Josef Fruchter (*1895) seine „Seifen- und Parfümeriewarenhandlung“ in der Wiener Straße 26. Der fleißige jüdische Geschäftsmann etablierte seinen Betrieb als Einzelhandels- und Großhandelsunternehmen, das in der Stadt und der Region bekannt war. Fruchter belieferte nicht nur Kunden im Bezirk Wiener Neustadt, sondern auch Abnehmer in Neunkirchen, Baden und Mödling sowie im nahen Burgenland. Der erfolgreiche und steigende Verkauf von Seifen, Kerzen, Kosmetikprodukten, Waschmitteln, Parfümerie- und Toilette-Artikeln (zum Beispiel Bürsten, Kämme, diverse Düfte und Eau de Cologne nach Gewicht) ließ seine „Seifen- und Parfümeriewarenhandlung“ zu einem gut gehenden Betrieb mit sieben Angestellten – darunter auch seine Gattin Christine (*1905) – heranwachsen.
Josef Fruchter war der letzte Obmann der Ortsgruppe des „Zionistischen Landesverbandes für Österreich in Wien“ vor 1938. Diese wurde 1920 gegründet und sollte unter anderem den „jüdisch-nationalen Gedanken“ wecken und fördern. Zu diesem Zweck wurde eine Jugendgruppe in Wiener Neustadt eingerichtet, denn den Jugendlichen galt seitens der Zionisten besondere Aufmerksamkeit. Um die jungen Menschen zu interessieren, setzte man lokal weniger auf politische Aufklärung, sondern auf soziale Aktivitäten – wie gemeinsame Ausflüge in die nahe Region – und sportliche Betätigung – wie Fechten und Boxen.
Vereinsmitglieder erhielten ein Exemplar der „Jüdischen Zeitung“, es wurden Veranstaltungen, die der Verbreitung der zionistischen Idee dienten, organisiert und es wurde eine politische Gruppe namens „Vereinigte Wahlpartei der Zionisten und Fortschrittlichen Wr. Neustadts“ in der Kultusgemeinde gebildet. Ziel der Zionisten war die Schaffung eines jüdischen Staates, einer „öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte des jüdischen Volkes in Palästina“.
Im März 1938 wurde Josef Fruchter sofort verhaftet und kam später in „gerichtliche Untersuchungshaft“ nach Wien. Die Fahrzeuge seines Betriebs wurden beschlagnahmt und kommissarische Verwaltungspersonen für die „Seifen- und Parfümeriewarenhandlung“ eingesetzt: Im Falle der Firma Fruchter waren es für eine kurze Zeitspanne sogar zwei Kommissare.
Im Rahmen des „Anschlusses“ im März 1938 wurden einige jüdische Geschäftsinhaber verhaftet. Die „Arisierungen“ liefen anfangs noch in einer verhältnismäßig unorganisierten Form ab. Die im Prozess der Machtergreifung im März unmittelbar eingesetzten NS-Funktionäre setzten sofort Schritte der Enteignung und Beraubung: Parteigenossen beriefen sich auf ihre Autorität als NSDAP-Mitglieder oder als Funktionsträger und begannen mit Beschlagnahmungen. Jüdische Geschäfte und Betriebe wurden aufgesucht und die Inhaber aus ihren Firmen hinausgeworfen. Mitunter wurden bei diesen sogenannten „wilden Arisierungen“ in nur wenige Minuten neue Tatsachen geschaffen. Die auf diese Art und Weise, auch unter Gewaltanwendung, ihres Eigentums beraubten jüdischen Geschäftsinhaber waren von diesen Aktionen völlig überrascht. Es war für sie unvorstellbar, keinen Zutritt mehr zu „ihren“ Firmen zu haben und ihre Existenzgrundlage zu verlieren.
Mit der Verhaftung der Eigentümer und dem Entzug aller Genehmigungen konnten die „Arisierungen“ ohne Widerstand durchgeführt werden. Die Abwicklungen wurden von kommissarischen Verwaltern bzw. Leitern vorgenommen, die in Wiener Neustadt ab März und April 1938 oft schon lange vor ihrer definitiven Bestätigung durch die NS-Behörden aktiv waren. Ab April 1938 besetzte die NSDAP-Kreisleitung manche Verwalter-Stellen (für fabriksmäßige und gewerbliche Betriebe, Praxen, Kanzleien und Geschäfte) neu. Die Kommissare wurden dann in einem behördlichen Prüfverfahren durch die Vermögensverkehrsstelle Wien bestätigt, was in Wiener Neustadt meist im Mai 1938 der Fall war. Die kommissarischen Verwalter prüften zuerst die Vermögenslage der jüdischen Firmen und leiteten die Überführung des jüdischen Eigentums in „arischen“ Besitz.
Die „Kennzeichnung jüdischer Betriebe“, die „Anmeldung des jüdischen Vermögens“ und das Anlegen einer „Juden-Kartei“ (auf der Basis der „Nürnberger Rassengesetze“) waren beispielsweise Schritte auf dem Weg zur völligen Entrechtung der jüdischen Bevölkerung. In Wiener Neustadt hatte man ab dem März in den Auslagen Kennzeichnungen – mit Bezeichnungen als „Jüdisches Geschäft“ oder „Deutsches Geschäft“ – vorgenommen. Es gab sogar die Funktion eines sogenannten „Generalabwicklers“ in der Person von Ing. Fritz Helmling, also eines Verwalters für eine große Anzahl jüdischer Unternehmen. Insgesamt verlief die Enteignung und Beraubung der jüdischen Minderheit in Wiener Neustadt sehr rasch ab, 1939 war der Großteil aller „Arisierungen“ abgeschlossen.
Quellen/Literatur:
Werner Sulzgruber, Die jüdische Gemeinde Wiener Neustadt. Von ihren Anfängen bis zu ihrer Zerstörung, Wien 2005.
Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010.