Der ehemalige Posthof - Wiener Straße 17

Erinnerungsort

Der ehemalige Posthof - Wiener Straße 17

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Der ehemalige Posthof – Wiener Straße 17 Der Fall Grünhut & Jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg Der Posthof war in Wiener Neustadt eine gute Adresse. Hatte man dort ein Geschäft, dann genügte es, einfach den Namen „Posthof“ zu nennen, denn die genaue Adresse war jedem bekannt. Der jüdische Händler Alfred Grünhut (1876-1938) hatte im Posthof 1909 ein Kleidergeschäft einrichten können, das später den Namen „Kleiderhaus Posthof“ trug, wenngleich es sich um ein eher kleines Geschäft handelte. Am 26. April 1938 wurde die Firma unter kommissarische Leitung gestellt. Alfred Grünhut bemühte sich vergeblich, sein Kleiderhaus zu behalten. Es interessierte die neuen Machthaber nicht, dass Grünhut im Ersten Weltkrieg gedient hatte, an der Front gekämpft hatte und verwundet worden war. Seine Interventionen fanden kein Gehör, im Gegenteil, rasch war über die kommissarische Leitung am 25. Mai 1938 ein Kaufvertrag mit zwei „Ariseuren“ abgeschlossen worden. Grünhut war völlig verzweifelt. 1922 war seine Ehefrau durch Selbstmord aus dem Leben geschieden, jetzt war sein Lebenswerk verloren. Am Dienstag, dem 12. Juli 1938, fand man Grünhut erhängt und mit Kupfervitriol vergiftet. Kupfervitriol bzw. -sulfat ist an sich nur leicht giftig und verursacht starken Brechreiz. Hatte er sich mit dieser Substanz das Leben nehmen wollen und dann den Tod durch Erhängen gewählt? Oder könnte es sich vielleicht doch um einen Mord gehandelt haben, der vertuscht wurde? Der Fall Grünhut ist nur ein Beispiel für die Beraubung der jüdischen Bevölkerung und die Auswirkungen. Auf seine Vergangenheit als Frontsoldat wurde keine Rücksicht genommen. Obgleich vereinzelt Fälle aus Österreich bekannt sind, wo jüdische Soldaten kurzzeitig ein gewisses Entgegenkommen (von lokalen Verantwortungsträgern) erhielten, so war dies in Wiener Neustadt nie der Fall. Viele Juden hatten als Soldaten „für Kaiser und Vaterland“ gedient. Soldaten mit mosaischem Religionsbekenntnis kämpften in der k. u. k. Armee an den Fronten des Ersten Weltkriegs: insgesamt zwischen rund 275.000 und 400.000 Juden – 25.000 als Offiziere. Viele von ihnen erhielten Auszeichnungen für ihre militärische Leistung und waren Träger von Tapferkeitsorden. In der Gruppe der jüdischen Minderheit in Wiener Neustadt gab es mehrere Soldaten, die militärische Auszeichnungen bekommen hatten: Tapferkeitsmedaillen in Bronze und Silber, wie zum Beispiel im Falle des später berühmten Rechtsanwalts Michael Stern (*1897) oder des Kaufmannes Max Zimmer (*1891), aber auch in Gold. 30.000 Juden starben im Ersten Weltkrieg – darunter über 1.000 jüdische Offiziere. Die Verdienste von jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg waren nach dem „Anschluss“ 1938 vergessen. So mancher jüdische Wiener Neustädter erhoffte sich aufgrund seiner militärischen Vergangenheit und seiner Auszeichnungen im Ersten Weltkrieg ein gewisses Entgegenkommen seitens der Nationalsozialisten im Rahmen der allgemeinen Entrechtung und Verfolgung, zum Beispiel eine Ausnahme in der „Arisierung“. Der Einsatz „für Kaiser und Vaterland“ war irrelevant geworden, und so wurde zirka ein Drittel der dokumentierten jüdischen Soldaten aus Wiener Neustadt zu Opfern der Shoah.   Quellen/Literatur: Werner Sulzgruber, Die jüdische Gemeinde Wiener Neustadt. Von ihren Anfängen bis zu ihrer Zerstörung, Wien 2005. Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010. Werner Sulzgruber, Lebenslinien. Jüdische Familien und ihre Schicksale. Eine biografische Reise in die Vergangenheit von Wiener Neustadt, Wien/Horn 2013. Werner Sulzgruber, Vom Leben und Tod . Juden in und aus Wiener Neustadt im Ersten Weltkrieg. Soldaten – Feldrabbiner – Ärzte – Militär-/Landsturmarbeiter – Kriegsgefangene, in: Unsere Heimat 84/2014, S. 110-122.  

Das ehemalige Geschäft Fruchter - Wiener Straße 26

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Der ehemalige Posthof – Wiener Straße 17

Der Fall Grünhut & Jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg

Der Posthof war in Wiener Neustadt eine gute Adresse. Hatte man dort ein Geschäft, dann genügte es, einfach den Namen „Posthof“ zu nennen, denn die genaue Adresse war jedem bekannt. Der jüdische Händler Alfred Grünhut (1876-1938) hatte im Posthof 1909 ein Kleidergeschäft einrichten können, das später den Namen „Kleiderhaus Posthof“ trug, wenngleich es sich um ein eher kleines Geschäft handelte.

Am 26. April 1938 wurde die Firma unter kommissarische Leitung gestellt. Alfred Grünhut bemühte sich vergeblich, sein Kleiderhaus zu behalten. Es interessierte die neuen Machthaber nicht, dass Grünhut im Ersten Weltkrieg gedient hatte, an der Front gekämpft hatte und verwundet worden war. Seine Interventionen fanden kein Gehör, im Gegenteil, rasch war über die kommissarische Leitung am 25. Mai 1938 ein Kaufvertrag mit zwei „Ariseuren“ abgeschlossen worden. Grünhut war völlig verzweifelt. 1922 war seine Ehefrau durch Selbstmord aus dem Leben geschieden, jetzt war sein Lebenswerk verloren. Am Dienstag, dem 12. Juli 1938, fand man Grünhut erhängt und mit Kupfervitriol vergiftet. Kupfervitriol bzw. -sulfat ist an sich nur leicht giftig und verursacht starken Brechreiz. Hatte er sich mit dieser Substanz das Leben nehmen wollen und dann den Tod durch Erhängen gewählt? Oder könnte es sich vielleicht doch um einen Mord gehandelt haben, der vertuscht wurde?

Der Fall Grünhut ist nur ein Beispiel für die Beraubung der jüdischen Bevölkerung und die Auswirkungen. Auf seine Vergangenheit als Frontsoldat wurde keine Rücksicht genommen. Obgleich vereinzelt Fälle aus Österreich bekannt sind, wo jüdische Soldaten kurzzeitig ein gewisses Entgegenkommen (von lokalen Verantwortungsträgern) erhielten, so war dies in Wiener Neustadt nie der Fall.

Viele Juden hatten als Soldaten „für Kaiser und Vaterland“ gedient. Soldaten mit mosaischem Religionsbekenntnis kämpften in der k. u. k. Armee an den Fronten des Ersten Weltkriegs: insgesamt zwischen rund 275.000 und 400.000 Juden – 25.000 als Offiziere. Viele von ihnen erhielten Auszeichnungen für ihre militärische Leistung und waren Träger von Tapferkeitsorden. In der Gruppe der jüdischen Minderheit in Wiener Neustadt gab es mehrere Soldaten, die militärische Auszeichnungen bekommen hatten: Tapferkeitsmedaillen in Bronze und Silber, wie zum Beispiel im Falle des später berühmten Rechtsanwalts Michael Stern (*1897) oder des Kaufmannes Max Zimmer (*1891), aber auch in Gold. 30.000 Juden starben im Ersten Weltkrieg – darunter über 1.000 jüdische Offiziere.

Die Verdienste von jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg waren nach dem „Anschluss“ 1938 vergessen. So mancher jüdische Wiener Neustädter erhoffte sich aufgrund seiner militärischen Vergangenheit und seiner Auszeichnungen im Ersten Weltkrieg ein gewisses Entgegenkommen seitens der Nationalsozialisten im Rahmen der allgemeinen Entrechtung und Verfolgung, zum Beispiel eine Ausnahme in der „Arisierung“. Der Einsatz „für Kaiser und Vaterland“ war irrelevant geworden, und so wurde zirka ein Drittel der dokumentierten jüdischen Soldaten aus Wiener Neustadt zu Opfern der Shoah.

 

Quellen/Literatur:
Werner Sulzgruber, Die jüdische Gemeinde Wiener Neustadt. Von ihren Anfängen bis zu ihrer Zerstörung, Wien 2005.
Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010.
Werner Sulzgruber, Lebenslinien. Jüdische Familien und ihre Schicksale. Eine biografische Reise in die Vergangenheit von Wiener Neustadt, Wien/Horn 2013.
Werner Sulzgruber, Vom Leben und Tod . Juden in und aus Wiener Neustadt im Ersten Weltkrieg. Soldaten – Feldrabbiner – Ärzte – Militär-/Landsturmarbeiter – Kriegsgefangene, in: Unsere Heimat 84/2014, S. 110-122.

 

Bilder

Blick von der Wiener Straße auf das Gebäude auf dem Standort des ehemaligen Posthofes

Datierung: 2015 Autor: Foto Marcel Billaudet

Blick vom Domplatz auf das Gebäude auf dem Standort des ehemaligen Posthofes (Rückseite)

Datierung: 2015 Autor: Foto Marcel Billaudet

Postreiter-Figur an der Fassade (Ecke Domplatz/Domgasse)

Datierung: 2015 Autor: Foto Marcel Billaudet

Posthof, 1909

Datierung: 1909 Quelle: Stadtarchiv Wiener Neustadt Autor: unbekannt Zusatzinfo: Fotografie

Plan des Erdgeschoßes des Posthofs mit den eingezeichneten sieben Geschäftslokalen zur Wiener Straße

Datierung: 1909 Quelle: Sammlung Werner Sulzgruber Autor: Siegfried Theiß und Johann Jaksch Zusatzinfo: Scan Werner Sulzgruber

Inserat der Firma Grünhut, Wiener Straße 17

Datierung: 1925 Quelle: Adressenbuch Wiener Neustadt 1925 Autor: unbekannt Zusatzinfo: Scan Werner Sulzgruber