Der ehemalige Kleiderhandel Schischa - Domgasse 3
ErinnerungsortDer ehemalige Kleiderhandel Schischa - Domgasse 3
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Der ehemalige Kleiderhandel Schischa – Domgasse 3 Familie Schischa & Kindertransporte An der Adresse Domgasse 3 befand sich bis 1938 der Kleiderhandel der Familie Schischa. Wilhelm Schischa (1883-1942) und seine Gattin Johanna (1885-1942) waren 1908 in die Pfarrgasse 3 nach Wiener Neustadt gezogen. Dort baute Wilhelm mit großem Engagement sein Männerkleidergeschäft auf. Damit war er einer von vielen jüdischen Händlern, die im Textilhandel ihren Lebensunterhalt verdienten. Er selbst war gelernter Schneidermeister und nannte sein 20 m2 großes Geschäft an der Hausecke Domplatz/Domgasse „Kleiderhaus“. Durch seinen Fleiß war es ihm möglich, ein Einfamilienhaus in der Kaiserbrunngasse 17 zu erwerben. Das aus frommen jüdischen Familien stammende Ehepaar hatte zwei Kinder, Eduard (1914-1963) und Karoline (*1927), wobei Sohn „Edi“ den väterlichen Betrieb übernehmen sollte. Aber es kam alles anders, als 1938 das „Kleiderhaus“ von einem Bekannten Wilhelm Schischas, keinem Geringeren als den in Wiener Neustadt für die NSDAP-Kreisleitung tätigen Ing. Fritz Helmling „arisiert“ wurde. Dieser übernahm das gesamte Bargeld und das Warenlager. Die Eltern wollten ihre beiden Kinder in Sicherheit wissen und so verließ zuerst der inzwischen 24-jährige Edi die Stadt und konnte im Oktober 1938 mit einem Transport nach Palästina gelangen. Die zurückgebliebenen Familienangehörigen wurden im Zuge der Verhaftungen während des Novemberpogroms vertrieben; sie fanden in Wien Unterschlupf – ohne Mittel, denn sie hatten alles zurücklassen müssen. Mit der Unterstützung von Verwandten und der B’nai B’rith-Loge gelang es den Eltern, ihrer Tochter Karoline eine Ausreise nach Großbritannien zu ermöglichen. Im Sommer 1939, genau am 11. Juli 1939, bestieg Karoline „Lilly“ einen Zug am Wiener Westbahnhof, einen sogenannten „Kindertransport“, der hunderte Kinder und Jugendliche außer Landes brachte. Ihr wurde damit das Leben gerettet. Lilly war eines von insgesamt 2.386 Kindern, die in den Jahren 1938 und 1939 nach Belgien, Frankreich, Großbritannien, Holland, Schweden, in die Schweiz oder in die USA gebracht wurden. Den betroffenen Kindern war es nur gestattet, einen Koffer bzw. ein einziges Handgepäckstück mitzunehmen. Die Bahnfahrt ging für Lilly bis Hoek van Holland, nahe Rotterdam, und mit der Fähre nach Harwich. Lilly wurde in England gemeinsam mit anderen jüdischen Kindern aus Österreich und Deutschland in einem Heim untergebracht. Sie konnte noch bis in die frühen 1940er Jahre mit ihren Eltern in Briefkontakt bleiben, auch noch als diese 1941 in das Ghetto Opole gekommen waren. Dieser brach jedoch alsbald ab: Vater und Mutter waren 1942 im KZ Belzec ermordet worden. Lilly erfuhr erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vom furchtbaren Schicksal ihrer Eltern. Sie kehrte, wie nur wenige jüdische Wiener Neustädter, welche die Shoah überlebt hatten, nach Österreich zurück. In Wien suchte sie nach ihren Eltern und fand nur noch einen Koffer, voll mit Briefen und Fotografien, die ihre Eltern aus dem polnischen Ghetto an Verwandte in Wien geschickt hatten. Wenn Juden und Jüdinnen aus Wiener Neustadt die Shoah überlebten, dann waren es zum einen meistens Kinder, die von ihren Eltern, mit deren letzten Hab und Gut finanziert, durch Kindertransporte ins sichere Ausland gebracht worden waren. In vielen Fällen schafften es die im Land gebliebenen Eltern nicht mehr außer Landes. Zum anderen waren es jüdische Familien der Mittel- oder Oberschicht, die über ausreichende finanzielle Mittel und Kontakte zu jüdischen Vereinen und ins Ausland verfügt hatten, sodass sie die Flucht bzw. Fahrt ins Exilland organisieren konnten. Aber auch in diesen beiden Gruppen gibt es viele Opfer der Shoah, nämlich dann, wenn Juden und Jüdinnen durch „Arisierung“ und Beraubung alles genommen worden war. Über die Wiener Neustädter Familie Schischa gibt es mehrere Dokumentationen: • Video „Ein Koffer voll Erinnerung“: http://www.centropa.org/de/centropa-cinema/lilli-tauber-ein-koffer-voll-erinnerung • Familiengeschichte online auf Centropa: http://www.centropa.org/de/biography/lilli-tauber • Wilhelm und Johanna Schischa, Was mit uns sein wird, wissen wir nicht. Briefe aus dem Ghetto, Wien 2015. Quellen/Literatur: Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010. Werner Sulzgruber, Lebenslinien. Jüdische Familien und ihre Schicksale. Eine biografische Reise in die Vergangenheit von Wiener Neustadt, Wien/Horn 2013. http://www.centropa.org/de/node/61791
Der ehemalige Posthof - Wiener Straße 17
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Der ehemalige Kleiderhandel Schischa – Domgasse 3
Familie Schischa & Kindertransporte
An der Adresse Domgasse 3 befand sich bis 1938 der Kleiderhandel der Familie Schischa. Wilhelm Schischa (1883-1942) und seine Gattin Johanna (1885-1942) waren 1908 in die Pfarrgasse 3 nach Wiener Neustadt gezogen. Dort baute Wilhelm mit großem Engagement sein Männerkleidergeschäft auf. Damit war er einer von vielen jüdischen Händlern, die im Textilhandel ihren Lebensunterhalt verdienten. Er selbst war gelernter Schneidermeister und nannte sein 20 m2 großes Geschäft an der Hausecke Domplatz/Domgasse „Kleiderhaus“. Durch seinen Fleiß war es ihm möglich, ein Einfamilienhaus in der Kaiserbrunngasse 17 zu erwerben. Das aus frommen jüdischen Familien stammende Ehepaar hatte zwei Kinder, Eduard (1914-1963) und Karoline (*1927), wobei Sohn „Edi“ den väterlichen Betrieb übernehmen sollte.
Aber es kam alles anders, als 1938 das „Kleiderhaus“ von einem Bekannten Wilhelm Schischas, keinem Geringeren als den in Wiener Neustadt für die NSDAP-Kreisleitung tätigen Ing. Fritz Helmling „arisiert“ wurde. Dieser übernahm das gesamte Bargeld und das Warenlager. Die Eltern wollten ihre beiden Kinder in Sicherheit wissen und so verließ zuerst der inzwischen 24-jährige Edi die Stadt und konnte im Oktober 1938 mit einem Transport nach Palästina gelangen. Die zurückgebliebenen Familienangehörigen wurden im Zuge der Verhaftungen während des Novemberpogroms vertrieben; sie fanden in Wien Unterschlupf – ohne Mittel, denn sie hatten alles zurücklassen müssen. Mit der Unterstützung von Verwandten und der B’nai B’rith-Loge gelang es den Eltern, ihrer Tochter Karoline eine Ausreise nach Großbritannien zu ermöglichen.
Im Sommer 1939, genau am 11. Juli 1939, bestieg Karoline „Lilly“ einen Zug am Wiener Westbahnhof, einen sogenannten „Kindertransport“, der hunderte Kinder und Jugendliche außer Landes brachte. Ihr wurde damit das Leben gerettet. Lilly war eines von insgesamt 2.386 Kindern, die in den Jahren 1938 und 1939 nach Belgien, Frankreich, Großbritannien, Holland, Schweden, in die Schweiz oder in die USA gebracht wurden. Den betroffenen Kindern war es nur gestattet, einen Koffer bzw. ein einziges Handgepäckstück mitzunehmen. Die Bahnfahrt ging für Lilly bis Hoek van Holland, nahe Rotterdam, und mit der Fähre nach Harwich.
Lilly wurde in England gemeinsam mit anderen jüdischen Kindern aus Österreich und Deutschland in einem Heim untergebracht. Sie konnte noch bis in die frühen 1940er Jahre mit ihren Eltern in Briefkontakt bleiben, auch noch als diese 1941 in das Ghetto Opole gekommen waren. Dieser brach jedoch alsbald ab: Vater und Mutter waren 1942 im KZ Belzec ermordet worden. Lilly erfuhr erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vom furchtbaren Schicksal ihrer Eltern. Sie kehrte, wie nur wenige jüdische Wiener Neustädter, welche die Shoah überlebt hatten, nach Österreich zurück. In Wien suchte sie nach ihren Eltern und fand nur noch einen Koffer, voll mit Briefen und Fotografien, die ihre Eltern aus dem polnischen Ghetto an Verwandte in Wien geschickt hatten.
Wenn Juden und Jüdinnen aus Wiener Neustadt die Shoah überlebten, dann waren es zum einen meistens Kinder, die von ihren Eltern, mit deren letzten Hab und Gut finanziert, durch Kindertransporte ins sichere Ausland gebracht worden waren. In vielen Fällen schafften es die im Land gebliebenen Eltern nicht mehr außer Landes. Zum anderen waren es jüdische Familien der Mittel- oder Oberschicht, die über ausreichende finanzielle Mittel und Kontakte zu jüdischen Vereinen und ins Ausland verfügt hatten, sodass sie die Flucht bzw. Fahrt ins Exilland organisieren konnten. Aber auch in diesen beiden Gruppen gibt es viele Opfer der Shoah, nämlich dann, wenn Juden und Jüdinnen durch „Arisierung“ und Beraubung alles genommen worden war.
Über die Wiener Neustädter Familie Schischa gibt es mehrere Dokumentationen:
• Video „Ein Koffer voll Erinnerung“: http://www.centropa.org/de/centropa-cinema/lilli-tauber-ein-koffer-voll-erinnerung
• Familiengeschichte online auf Centropa: http://www.centropa.org/de/biography/lilli-tauber
• Wilhelm und Johanna Schischa, Was mit uns sein wird, wissen wir nicht. Briefe aus dem Ghetto, Wien 2015.
Quellen/Literatur:
Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010.
Werner Sulzgruber, Lebenslinien. Jüdische Familien und ihre Schicksale. Eine biografische Reise in die Vergangenheit von Wiener Neustadt, Wien/Horn 2013.
http://www.centropa.org/de/node/61791