Das ehemalige Gewing-Haus - Wiener Straße 31
ErinnerungsortDas ehemalige Gewing-Haus - Wiener Straße 31
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Das ehemalige Gewing-Haus – Wiener Straße 31 Jüdische Wirtschaftstreibende Die jüdische Bevölkerung der Stadt hatte ihre Lebensgrundlage in den 1920er und 1930er Jahren im Handel und Gewerbe. Der größte Teil handelte mit Gemischtwaren, Textilien und Wein. Außerdem pflegten jüdische Geschäftsleute beispielsweise den Handel mit Leder, Schuhen, Holz, Kohle, Möbeln, Lebensmitteln und Vieh. Nicht nur Juden, sondern überhaupt viele Händler und Hausierer betrieben bis in die Zwischenkriegszeit sogenannten Ratenhandel: Kunden zahlten eine Ware zuerst nur an und in der Folge in kleinen Geldraten über Monate ab. Die jüdischen Händler kamen gerne sonntags, um die Raten in den christlichen Haushalten zu kassieren. Denn am sonntäglichen Ruhetag trafen sie ihre Kunden zumeist zuhause an. Aufgrund dieser Hausbesuche von Juden und der Übergabe von Geld kam es zum Vorurteil, „die Juden seien geldgierig und reich“ – wie es später in der antisemitischen NS-Propaganda hieß. Aber das Gegenteil war der Fall, weil die Ratenhändler oft hohe Zahlungsrückstände in Kauf nehmen mussten, immer wieder die volle Endsumme gar nicht erhielten, ihre Kunden nicht vergrämen wollten und sich sehr nachsichtig zeigten. So ist Zeitzeugen und Zeitzeuginnen zum Beispiel der Name Rosenberger ein Begriff: ein jüdischer Kleiderhändler, der als gutmütig und beliebt beschrieben wurde. Zeitzeugen und Zeitzeuginnen erinnern sich auch gerne an die Familie Gewing, die in der Wiener Straße 31 wohnte. Die Familie war in Wiener Neustadt bekannt gewesen, weil sie hier erfolgreich eine Porzellanmalerei betrieb und Textilwaren, vor allem Bettwäsche, verkaufte. Das Geschäft, das den treffenden Namen „Basar zur Billigkeit“ trug, lag durchaus günstig und lockte die Passanten mit günstigen Angeboten, wie „staunend billig Porzellan und Glaswaren“ – so eine Werbebotschaft. Zusätzlich zum Verkauf von Wäsche etablierte sich die Bettfedernreinigung. Wenn man damals also seine gefüllten Bettdecken und Polster reinigen lassen wollte, dann erhielt man – obwohl es noch zwei andere „Bettfedernreinigungsanstalten“ gab – den Tipp: „Na da gehen Sie am besten zum Gewing!“ Erfolgreiche jüdische Wirtschaftstreibende wurden in den 1930er Jahren zum Ziel antijüdischer Agitationen, die oft in einem ökonomischen Antisemitismus begründet waren. Jüdische Händler und Handwerker wurden auf dem lokalen Markt als wirtschaftliche Konkurrenz wahrgenommen. Dies konnte sich zu Neid und Aggressionen steigern, wobei dann Vorwürfe und Bezichtigungen – im Stile mittelalterlicher Vorurteile – geäußert wurden: Juden würden Wucher und Hehlerei betreiben. Auf diese Art und Weise entstand mancherorts antisemitisches Verhalten. (Anmerkung: 1938 wurden das Gewing-Haus und der Betrieb „arisiert“ und die Familie zur Auswanderung gezwungen, wobei viele Familienmitglieder Opfer der Shoah wurden.) Auffällig viele Juden und Jüdinnen erlernten das Schneider-Handwerk. Es ist daher nicht überraschend, dass folglich eine große Zahl in der Bekleidungs- und Textilbranche beruflich tätig war. Betrachtet man den Anteil von Juden und Jüdinnen in Gewerbe und Handwerk dann war zirka ein Viertel in Wiener Neustadt in der Bekleidungs- und Textilbranche aktiv. Wiener Neustadt hatte seit dem 19. Jahrhundert zurecht den Ruf einer Industriestadt und bildet nicht zufällig das Zentrum des Industrieviertels in Niederösterreich. Dennoch waren nur vereinzelt Juden im Industriesektor tätig. Die Anzahl jüdischer „Fabrikanten“ (wobei damit auch Eigentümer von sogenannten fabriksmäßigen Betrieben gemeint sind) war äußerst gering. Für Wiener Neustadt können hier die Harzraffinerie Prager, die Seifenfabrik Grünwald, die Gardinen- und Teppichfabrik Selmeczi, die Kugelketten- und Bijouteriewarenfabrik Zeilinger und die Macospinnerei und Zwirnerei Pick genannt werden. Die jüdischen Geschäfte und Betriebe hatten ihren Standort mehrheitlich in der Alt- bzw. Innenstadt. Unmittelbar vor dem „Anschluss“ 1938 befanden sich die meisten Geschäftsadressen – angemeldete Handels- und Handwerksbetriebe sowie ärztlicher Praxen und Anwaltskanzleien – in der Neunkirchner Straße (23 Adressen), dann am Hauptplatz (18 Adressen), in der Wiener Straße (15 Adressen) und der Herzog-Leopold-Straße (12 Adressen). Quellen/Literatur: Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010. Werner Sulzgruber, Lebenslinien. Jüdische Familien und ihre Schicksale. Eine biografische Reise in die Vergangenheit von Wiener Neustadt, Wien/Horn 2013.
Wohnhaus - Eyerspergring 3 - Jimmy Berg
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Das ehemalige Gewing-Haus – Wiener Straße 31
Jüdische Wirtschaftstreibende
Die jüdische Bevölkerung der Stadt hatte ihre Lebensgrundlage in den 1920er und 1930er Jahren im Handel und Gewerbe. Der größte Teil handelte mit Gemischtwaren, Textilien und Wein. Außerdem pflegten jüdische Geschäftsleute beispielsweise den Handel mit Leder, Schuhen, Holz, Kohle, Möbeln, Lebensmitteln und Vieh.
Nicht nur Juden, sondern überhaupt viele Händler und Hausierer betrieben bis in die Zwischenkriegszeit sogenannten Ratenhandel: Kunden zahlten eine Ware zuerst nur an und in der Folge in kleinen Geldraten über Monate ab. Die jüdischen Händler kamen gerne sonntags, um die Raten in den christlichen Haushalten zu kassieren. Denn am sonntäglichen Ruhetag trafen sie ihre Kunden zumeist zuhause an. Aufgrund dieser Hausbesuche von Juden und der Übergabe von Geld kam es zum Vorurteil, „die Juden seien geldgierig und reich“ – wie es später in der antisemitischen NS-Propaganda hieß. Aber das Gegenteil war der Fall, weil die Ratenhändler oft hohe Zahlungsrückstände in Kauf nehmen mussten, immer wieder die volle Endsumme gar nicht erhielten, ihre Kunden nicht vergrämen wollten und sich sehr nachsichtig zeigten. So ist Zeitzeugen und Zeitzeuginnen zum Beispiel der Name Rosenberger ein Begriff: ein jüdischer Kleiderhändler, der als gutmütig und beliebt beschrieben wurde.
Zeitzeugen und Zeitzeuginnen erinnern sich auch gerne an die Familie Gewing, die in der Wiener Straße 31 wohnte. Die Familie war in Wiener Neustadt bekannt gewesen, weil sie hier erfolgreich eine Porzellanmalerei betrieb und Textilwaren, vor allem Bettwäsche, verkaufte. Das Geschäft, das den treffenden Namen „Basar zur Billigkeit“ trug, lag durchaus günstig und lockte die Passanten mit günstigen Angeboten, wie „staunend billig Porzellan und Glaswaren“ – so eine Werbebotschaft. Zusätzlich zum Verkauf von Wäsche etablierte sich die Bettfedernreinigung. Wenn man damals also seine gefüllten Bettdecken und Polster reinigen lassen wollte, dann erhielt man – obwohl es noch zwei andere „Bettfedernreinigungsanstalten“ gab – den Tipp: „Na da gehen Sie am besten zum Gewing!“
Erfolgreiche jüdische Wirtschaftstreibende wurden in den 1930er Jahren zum Ziel antijüdischer Agitationen, die oft in einem ökonomischen Antisemitismus begründet waren. Jüdische Händler und Handwerker wurden auf dem lokalen Markt als wirtschaftliche Konkurrenz wahrgenommen. Dies konnte sich zu Neid und Aggressionen steigern, wobei dann Vorwürfe und Bezichtigungen – im Stile mittelalterlicher Vorurteile – geäußert wurden: Juden würden Wucher und Hehlerei betreiben. Auf diese Art und Weise entstand mancherorts antisemitisches Verhalten. (Anmerkung: 1938 wurden das Gewing-Haus und der Betrieb „arisiert“ und die Familie zur Auswanderung gezwungen, wobei viele Familienmitglieder Opfer der Shoah wurden.)
Auffällig viele Juden und Jüdinnen erlernten das Schneider-Handwerk. Es ist daher nicht überraschend, dass folglich eine große Zahl in der Bekleidungs- und Textilbranche beruflich tätig war. Betrachtet man den Anteil von Juden und Jüdinnen in Gewerbe und Handwerk dann war zirka ein Viertel in Wiener Neustadt in der Bekleidungs- und Textilbranche aktiv. Wiener Neustadt hatte seit dem 19. Jahrhundert zurecht den Ruf einer Industriestadt und bildet nicht zufällig das Zentrum des Industrieviertels in Niederösterreich. Dennoch waren nur vereinzelt Juden im Industriesektor tätig. Die Anzahl jüdischer „Fabrikanten“ (wobei damit auch Eigentümer von sogenannten fabriksmäßigen Betrieben gemeint sind) war äußerst gering. Für Wiener Neustadt können hier die Harzraffinerie Prager, die Seifenfabrik Grünwald, die Gardinen- und Teppichfabrik Selmeczi, die Kugelketten- und Bijouteriewarenfabrik Zeilinger und die Macospinnerei und Zwirnerei Pick genannt werden.
Die jüdischen Geschäfte und Betriebe hatten ihren Standort mehrheitlich in der Alt- bzw. Innenstadt. Unmittelbar vor dem „Anschluss“ 1938 befanden sich die meisten Geschäftsadressen – angemeldete Handels- und Handwerksbetriebe sowie ärztlicher Praxen und Anwaltskanzleien – in der Neunkirchner Straße (23 Adressen), dann am Hauptplatz (18 Adressen), in der Wiener Straße (15 Adressen) und der Herzog-Leopold-Straße (12 Adressen).
Quellen/Literatur:
Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010.
Werner Sulzgruber, Lebenslinien. Jüdische Familien und ihre Schicksale. Eine biografische Reise in die Vergangenheit von Wiener Neustadt, Wien/Horn 2013.