Standort der ehemaligen Synagoge - Baumkirchnerring 4
ErinnerungsortStandort der ehemaligen Synagoge - Baumkirchnerring 4
47.816450
16.243944
Erinnerungsort „Synagoge“ – Baumkirchnerring 4 Wo damals die Synagoge stand Nach der erlaubten Wiederansiedlung im 19. Jahrhundert suchte die wachsende jüdische Gemeinde einen passenden Ort für ihre Gottesdienste und fand ihn am Baumkirchnerring 4. Vorerst war es ein kleineres Bethaus, das man an dieser Adresse einrichtete. Schon bald nach der Konstituierung der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wiener Neustadt 1871 und dem starken Zuzug von Juden und Jüdinnen, der vorrangig aus Westungarn erfolgte, wuchs der Bedarf an einem großen Gotteshaus. 1902 wurde gleich neben dem ursprünglichen Bethaus nach den Plänen des berühmten Architekten Wilhelm Stiassny (1842-1910) eine Synagoge für die jüdische Minderheit in Wiener Neustadt erbaut. Die Kosten für das fast 340 Quadratmeter große Gebäude betrugen zirka 80.000,- Kronen, lukriert aus Spendengeldern, Sammlungen und Lotterien. Das Bethaus im nordöstlichen Bereich des Areals blieb erhalten und ein Schächthaus (Schlachthaus) kam hinzu, sodass der Baumkirchnerring 4 zu einer zentralen Adresse für die jüdische Bevölkerung wurde. Das Synagogen-Gebäude wies eine für das hiesige Stadtbild besondere Architektur auf, weil mit dem atypischen Prachtbau ein für die Stadt neuartiges Baukonzept im Stile des „historisierenden Klassizismus“ bzw. „romantischen Historismus“ verwirklicht wurde. Auffällig waren beispielsweise die beiden Türme an der Frontseite des Gebäudes, eine große Rosette mit einem Davidstern und kunstvollen Details, wie Säulen mit Alhambra-Kapitellen. Als Schlussstein war eigens ein Stein aus Jerusalem verbaut worden. In großen goldenen Buchstaben zog sich eine Inschrift um den Davidstern, dessen Botschaft die nicht-jüdische Bevölkerung nicht kannte: „Mein Haus wird ein Haus des Gebets für alle Völker genannt werden“ (Jes 56, 7). Im Gebiet der IKG Wiener Neustadt gab es damals noch andere Bethäuser, nämlich einerseits das private Bethaus der Familie Koppel in der Haidbrunngasse und andererseits jenes der Familie Hacker in Erlach. 1938 lebten zirka 860 Juden und Jüdinnen in der Stadt, zwischen rund 650 und 680 von ihnen waren Mitglieder der IKG. Mit dem März 1938, nach dem sogenannten „Anschlusses“ an das Deutsche Reich, begann ihre Entrechtung und die Vertreibung. Der Höhepunkt der Gewalt wurde im November 1938 erreicht. Nationalsozialisten verwüsteten in der „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 die Synagoge. Das Rundfenster wurde zerstört und der Davidstern herausgestemmt. Das Gebäude sollte diese Symbolik verlieren, weshalb auch die Tafeln vom Giebel abgebrochen und später die vergoldeten hebräischen Buchstaben der Inschrift weggemeißelt wurden. Mitglieder der Sturmabteilung (SA) zwangen jüdische Kinder und Jugendliche dazu, Teile der Inneneinrichtung zu zerstören. Das Areal am Baumkirchnerring 4 war zum Sammellager geworden, nachdem am 10. November 1938 Juden und Jüdinnen in ihren Wohnungen und Häusern verhaftet worden waren. Frauen und Kinder kamen großteils zu diesem Sammelpunkt, jüdische Männer allesamt in das Gefängnis des Kreisgerichts am Maria-Theresien-Ring. Nur wenige andere ließ die lokale NS-Führung andernorts, zum Beispiel nahe dem Bahnhof, internieren. Das Ziel war die totale Beraubung und endgültige Vertreibung, denn die jüdische Bevölkerung wurde ihres gesamten Hab und Guts beraubt und dann in Zügen und mit Autobussen nach Wien gebracht. Am 15. November 1938 erfolgte de facto die Übernahme der Synagoge, des Bethauses (Baumkirchnerring 4) und des jüdischen Friedhofs mit allen Gebäuden (Wiener Straße 95) in den Besitz der Stadtgemeinde. Pläne der Nationalsozialisten, die Synagoge zu einem Heim der Schutzstaffel (SS) umzufunktionieren, wurden nie verwirklicht, sondern das entweihte Gotteshaus fand als Holzlager Verwendung. Trotz des intensiven Bombardements der Stadt während des Zweiten Weltkriegs traf die Synagoge keine Bombe, sondern sie blieb bis in die 1950er Jahre nahezu im Zustand vom November 1938. Nach ihrer Restituierung und dem Verkauf an den Österreichischen Gewerkschaftsbund riss man sie 1952/53 ab. Auf einer 2016 neu gesetzten Gedenktafel heißt es: „Im Jahr 1902 errichtete die Israelitische Kultusgemeinde Wiener Neustadt an dieser Stelle nach Plänen des Wiener Architekten Wilhelm Stiassny eine repräsentative Synagoge im maurischen Stil. Ähnlich wie viele andere Synagogen des Landes ist auch die Wiener Neustädter Synagoge am 9. November 1938 von Nationalsozialisten devastiert und entweiht worden. Durch die darauffolgende gewaltsame Vertreibung aller Juden und Jüdinnen aus der Stadt hörte die Israelitische Kultusgemeinde zu bestehen auf. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die beschädigte ehemalige Synagoge abgetragen.“ Der Text der Inschrift musste inhaltlich richtig gestellt werden, weil man ursprünglich von der „bomben“-beschädigten ehemaligen Synagoge geschrieben hatte. Damals saß man der falschen Behauptung auf, dass Bombenschäden der Grund für den Abriss gewesen seien. Tatsächlich aber entfernte man das keineswegs gravierend beschädigte Gebäude, weil es in der Nachkriegszeit den neuen Aufbauplänen im Wege war. 2010 wurde die Wiener Neustädter Synagoge an der TU Wien rekonstruiert. Die virtuelle Synagogen-Rekonstruktion erfolgte bei Univ.-Prof. Dr. Bob Martens durch Susanne Schwarz. 2013 kam es in Wiener Neustadt zu einer Projektion der nicht mehr existenten Synagoge an ihrem historischen Standort in Originalgröße. Es war dies die erste (Licht-)Projektion dieser Art in Wiener Neustadt. Seit Anfang November 2018 stehen drei 360°-Ansichten der Wiener Neustädter Synagoge online auf dieser Website zur Verfügung (Menüpunkt „Einst & Jetzt“ - „Synagoge in 360°-Ansichten“). Es ist nun der virtuelle Besuch dieses Synagogalbaues mit seiner besonderen Architektur möglich: http://www.zeitgeschichte-wn.at/einst-jetzt/synagoge Video zur Rekonstruktion der Synagoge von Wiener Neustadt: Frontansicht mit Überblendung, Innenansicht im Erdgeschoß und von der Frauengalerie im ersten Stock (Animation): https://vimeo.com/15155225 Unterrichtsmaterial:http://www.zeitgeschichte-wn.at/images/Lernmaterialien/18-Novemberpogrom---Die-Reichskristallnacht-in-WN.pdf Quellen/Literatur: Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010. Werner Sulzgruber, Lebenslinien. Jüdische Familien und ihre Schicksale. Eine biografische Reise in die Vergangenheit von Wiener Neustadt, Wien/Horn 2013.
Das ehemalige Gewing-Haus - Wiener Straße 31
47.816680
16.244632
47.816416
16.243937
47.816441
16.243831
47.816481
16.243682
47.816537
16.243175
47.816088
16.242984
47.816587
16.244788
Erinnerungsort „Synagoge“ – Baumkirchnerring 4
Wo damals die Synagoge stand
Nach der erlaubten Wiederansiedlung im 19. Jahrhundert suchte die wachsende jüdische Gemeinde einen passenden Ort für ihre Gottesdienste und fand ihn am Baumkirchnerring 4. Vorerst war es ein kleineres Bethaus, das man an dieser Adresse einrichtete. Schon bald nach der Konstituierung der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wiener Neustadt 1871 und dem starken Zuzug von Juden und Jüdinnen, der vorrangig aus Westungarn erfolgte, wuchs der Bedarf an einem großen Gotteshaus.
1902 wurde gleich neben dem ursprünglichen Bethaus nach den Plänen des berühmten Architekten Wilhelm Stiassny (1842-1910) eine Synagoge für die jüdische Minderheit in Wiener Neustadt erbaut. Die Kosten für das fast 340 Quadratmeter große Gebäude betrugen zirka 80.000,- Kronen, lukriert aus Spendengeldern, Sammlungen und Lotterien. Das Bethaus im nordöstlichen Bereich des Areals blieb erhalten und ein Schächthaus (Schlachthaus) kam hinzu, sodass der Baumkirchnerring 4 zu einer zentralen Adresse für die jüdische Bevölkerung wurde.
Das Synagogen-Gebäude wies eine für das hiesige Stadtbild besondere Architektur auf, weil mit dem atypischen Prachtbau ein für die Stadt neuartiges Baukonzept im Stile des „historisierenden Klassizismus“ bzw. „romantischen Historismus“ verwirklicht wurde. Auffällig waren beispielsweise die beiden Türme an der Frontseite des Gebäudes, eine große Rosette mit einem Davidstern und kunstvollen Details, wie Säulen mit Alhambra-Kapitellen. Als Schlussstein war eigens ein Stein aus Jerusalem verbaut worden. In großen goldenen Buchstaben zog sich eine Inschrift um den Davidstern, dessen Botschaft die nicht-jüdische Bevölkerung nicht kannte: „Mein Haus wird ein Haus des Gebets für alle Völker genannt werden“ (Jes 56, 7).
Im Gebiet der IKG Wiener Neustadt gab es damals noch andere Bethäuser, nämlich einerseits das private Bethaus der Familie Koppel in der Haidbrunngasse und andererseits jenes der Familie Hacker in Erlach.
1938 lebten zirka 860 Juden und Jüdinnen in der Stadt, zwischen rund 650 und 680 von ihnen waren Mitglieder der IKG. Mit dem März 1938, nach dem sogenannten „Anschlusses“ an das Deutsche Reich, begann ihre Entrechtung und die Vertreibung. Der Höhepunkt der Gewalt wurde im November 1938 erreicht. Nationalsozialisten verwüsteten in der „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 die Synagoge. Das Rundfenster wurde zerstört und der Davidstern herausgestemmt. Das Gebäude sollte diese Symbolik verlieren, weshalb auch die Tafeln vom Giebel abgebrochen und später die vergoldeten hebräischen Buchstaben der Inschrift weggemeißelt wurden. Mitglieder der Sturmabteilung (SA) zwangen jüdische Kinder und Jugendliche dazu, Teile der Inneneinrichtung zu zerstören.
Das Areal am Baumkirchnerring 4 war zum Sammellager geworden, nachdem am 10. November 1938 Juden und Jüdinnen in ihren Wohnungen und Häusern verhaftet worden waren. Frauen und Kinder kamen großteils zu diesem Sammelpunkt, jüdische Männer allesamt in das Gefängnis des Kreisgerichts am Maria-Theresien-Ring. Nur wenige andere ließ die lokale NS-Führung andernorts, zum Beispiel nahe dem Bahnhof, internieren. Das Ziel war die totale Beraubung und endgültige Vertreibung, denn die jüdische Bevölkerung wurde ihres gesamten Hab und Guts beraubt und dann in Zügen und mit Autobussen nach Wien gebracht.
Am 15. November 1938 erfolgte de facto die Übernahme der Synagoge, des Bethauses (Baumkirchnerring 4) und des jüdischen Friedhofs mit allen Gebäuden (Wiener Straße 95) in den Besitz der Stadtgemeinde.
Pläne der Nationalsozialisten, die Synagoge zu einem Heim der Schutzstaffel (SS) umzufunktionieren, wurden nie verwirklicht, sondern das entweihte Gotteshaus fand als Holzlager Verwendung. Trotz des intensiven Bombardements der Stadt während des Zweiten Weltkriegs traf die Synagoge keine Bombe, sondern sie blieb bis in die 1950er Jahre nahezu im Zustand vom November 1938. Nach ihrer Restituierung und dem Verkauf an den Österreichischen Gewerkschaftsbund riss man sie 1952/53 ab.
Auf einer 2016 neu gesetzten Gedenktafel heißt es: „Im Jahr 1902 errichtete die Israelitische Kultusgemeinde Wiener Neustadt an dieser Stelle nach Plänen des Wiener Architekten Wilhelm Stiassny eine repräsentative Synagoge im maurischen Stil. Ähnlich wie viele andere Synagogen des Landes ist auch die Wiener Neustädter Synagoge am 9. November 1938 von Nationalsozialisten devastiert und entweiht worden. Durch die darauffolgende gewaltsame Vertreibung aller Juden und Jüdinnen aus der Stadt hörte die Israelitische Kultusgemeinde zu bestehen auf. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die beschädigte ehemalige Synagoge abgetragen.“
Der Text der Inschrift musste inhaltlich richtig gestellt werden, weil man ursprünglich von der „bomben“-beschädigten ehemaligen Synagoge geschrieben hatte. Damals saß man der falschen Behauptung auf, dass Bombenschäden der Grund für den Abriss gewesen seien. Tatsächlich aber entfernte man das keineswegs gravierend beschädigte Gebäude, weil es in der Nachkriegszeit den neuen Aufbauplänen im Wege war.
2010 wurde die Wiener Neustädter Synagoge an der TU Wien rekonstruiert. Die virtuelle Synagogen-Rekonstruktion erfolgte bei Univ.-Prof. Dr. Bob Martens durch Susanne Schwarz.
2013 kam es in Wiener Neustadt zu einer Projektion der nicht mehr existenten Synagoge an ihrem historischen Standort in Originalgröße. Es war dies die erste (Licht-)Projektion dieser Art in Wiener Neustadt.
Seit Anfang November 2018 stehen drei 360°-Ansichten der Wiener Neustädter Synagoge online auf dieser Website zur Verfügung (Menüpunkt „Einst & Jetzt“ - „Synagoge in 360°-Ansichten“). Es ist nun der virtuelle Besuch dieses Synagogalbaues mit seiner besonderen Architektur möglich: http://www.zeitgeschichte-wn.at/einst-jetzt/synagoge
Video zur Rekonstruktion der Synagoge von Wiener Neustadt: Frontansicht mit Überblendung, Innenansicht im Erdgeschoß und von der Frauengalerie im ersten Stock (Animation): https://vimeo.com/15155225
Unterrichtsmaterial:
http://www.zeitgeschichte-wn.at/images/Lernmaterialien/18-Novemberpogrom---Die-Reichskristallnacht-in-WN.pdf
Quellen/Literatur:
Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010.
Werner Sulzgruber, Lebenslinien. Jüdische Familien und ihre Schicksale. Eine biografische Reise in die Vergangenheit von Wiener Neustadt, Wien/Horn 2013.