Reckturm - Reyergasse - Grabsteinfragment
ErinnerungsortReckturm - Reyergasse - Grabsteinfragment
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Reckturm – Reyergasse Der Beginn der Besiedelung der Neustadt Wiener Neustadt nimmt innerhalb der jüdischen Geschichte Österreichs eine besondere Rolle ein, denn in der einstigen Neustadt (also der neuen Stadt, der „newstat“) bestand eine der ältesten „Judengemeinden“ Österreichs. Schon am Beginn des 13. Jahrhunderts entstand hier – zeitlich parallel zu Wien – eine jüdische Gemeinde. Diese wies die entsprechende Infrastruktur auf: zumindest eine Synagoge und einen Friedhof, höchstwahrscheinlich auch noch andere Einrichtungen. Im Jahre 1192 war die Stadt Wiener Neustadt vom Babenberger Herzog Leopold V. gegründet worden. Mit einem Teil des Lösegeldes für König Richard von England wurde die Stadtbefestigung gebaut. Der sogenannte Reckturm erinnert heute an die mittelalterliche Schutzanlage und die Stadtmauern der Neustadt. Den Reckturm und die jüdische Geschichte der Stadt verband lange ein Rätsel, weil im Inneren des Turms die Reste eines hebräischen Grabsteins gefunden wurden. Dieser war im Bauwerk zur Abdeckung einer Wandnische verwendet worden. Fast zwei Jahrzehnte blieb unklar, wann dieser Grabstein in den Turm eingefügt wurde. Sollte er bereits beim Bau des Turms im Hochmittelalter dort eingemauert worden sein oder hatte man ihn in einer Phase des Um- bzw. Neubaues des Eckturms dort eingefügt? Heute wissen wir, dass der Grabstein um 1500 (nach der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus der Neustadt und der Zerstörung des jüdischen Friedhofs) dort als Baumaterial Verwendung fand. Es ist übrigens nicht der einzige Ort, an dem sich in Wiener Neustadt Grabstein-Fragmente mit hebräischen Schriftzeichen vermauert finden, sondern beispielsweise auch südlich des SW-Eckturms (dort unter der Grasfläche bei der Bastei unsichtbar verborgen) bestehen solche in einer Vielzahl – als eingemauerte Bruchsteine. Die Herrscher des Mittelalters kümmerten sich bekanntlich wenig um die jüdische Bevölkerung. Im Zusammenhang mit der neu gegründeten Stadt Neustadt war es ihnen wichtig, dass sie wachsen und sich als Grenzstadt etablieren konnte. Um dies zu gewährleisten, gab man ihr besondere Rechte (zum Beispiel das Marktrecht, das Münzrecht und die Mautfreiheit), die sie zu einer wichtigen Handelsstadt werden ließen. Genau deshalb wurde die Neustadt auch für die jüdischen Händler interessant. In Niederösterreich waren Juden neben Geldleihgeschäften vor allem im Weinhandel und im Handel mit Spezereien tätig. In der Neustadt fanden sie demnach einen guten Handelsstützpunkt. Hier nicht nur Handel zu betreiben, sondern sich auch anzusiedeln, bekam für die jüdische Bevölkerung natürlich Sinn, als sich die Möglichkeit bot, hier den eigenen Glauben zu leben. Die Synagoge wurde zum wichtigen Kernpunkt des wachsenden jüdischen Viertels. In dieser frühen Zeit gab es nur in Wien, Krems und Wiener Neustadt Friedhöfe, was der jüdischen Gemeinde der Neustadt wiederum eine zentrale Rolle gab. Im 14. und 15. Jahrhundert befand sich in der Neustadt eine Talmudschule (Jeschiwa). Das Bestehen einer Jeschiwa ließ den Standort zu einem Bildungszentrum von überregionaler Bedeutung werden. Talmud-Studenten aus ganz Mitteleuropa kamen in die Neustadt, um hier bei Rabbinern zu lernen. Rabbi Schalom ben Isaak war zum Beispiel die zentrale Persönlichkeit des jüdischen Lebens vor der „Wiener Gesera“ (dem sogenannten Wiener Verhängnis) 1420/21, die übrigens ohne Auswirkung auf die Neustadt blieb. In der Mitte des 15. Jahrhunderts kam Israel bar Petachja (Isserlein) in die Neustadt und mit ihm wurde sie zum Mittelpunkt rabbinischer Gelehrsamkeit im späten Mittelalter. Jüdische Händler aus der Neustadt pflegten im Spätmittelalter beispielsweise Handelsbeziehungen nach Wien, Ödenburg und Venedig. Zu den gefragten sogenannten „Venedigerwaren“ zählten Gewürze, Zucker, Glas und anderes. Im Allgemeinen war der Handel mit Wein, Vieh, Getreide, Öl, Leder, Leinen und Tuch bedeutsam. Nachdem Kaiser Friedrich III. von 1440 bis 1493 in der Neustadt seine Residenz hatte und das Judenviertel wegen des großen Zuzugs auf seine maximale Größe herangewachsen war, endete die Geschichte der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde mit Maximilian I., der 1496 mittels eines Ausweisungsbefehls die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus der Stadt befahl. Quellen/Literatur: Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010.
Wohnhäuser - Baumkirchnerring 5 und 9 - Stolpersteine
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Reckturm – Reyergasse
Der Beginn der Besiedelung der Neustadt
Wiener Neustadt nimmt innerhalb der jüdischen Geschichte Österreichs eine besondere Rolle ein, denn in der einstigen Neustadt (also der neuen Stadt, der „newstat“) bestand eine der ältesten „Judengemeinden“ Österreichs. Schon am Beginn des 13. Jahrhunderts entstand hier – zeitlich parallel zu Wien – eine jüdische Gemeinde. Diese wies die entsprechende Infrastruktur auf: zumindest eine Synagoge und einen Friedhof, höchstwahrscheinlich auch noch andere Einrichtungen. Im Jahre 1192 war die Stadt Wiener Neustadt vom Babenberger Herzog Leopold V. gegründet worden. Mit einem Teil des Lösegeldes für König Richard von England wurde die Stadtbefestigung gebaut. Der sogenannte Reckturm erinnert heute an die mittelalterliche Schutzanlage und die Stadtmauern der Neustadt.
Den Reckturm und die jüdische Geschichte der Stadt verband lange ein Rätsel, weil im Inneren des Turms die Reste eines hebräischen Grabsteins gefunden wurden. Dieser war im Bauwerk zur Abdeckung einer Wandnische verwendet worden. Fast zwei Jahrzehnte blieb unklar, wann dieser Grabstein in den Turm eingefügt wurde. Sollte er bereits beim Bau des Turms im Hochmittelalter dort eingemauert worden sein oder hatte man ihn in einer Phase des Um- bzw. Neubaues des Eckturms dort eingefügt? Heute wissen wir, dass der Grabstein um 1500 (nach der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus der Neustadt und der Zerstörung des jüdischen Friedhofs) dort als Baumaterial Verwendung fand. Es ist übrigens nicht der einzige Ort, an dem sich in Wiener Neustadt Grabstein-Fragmente mit hebräischen Schriftzeichen vermauert finden, sondern beispielsweise auch südlich des SW-Eckturms (dort unter der Grasfläche bei der Bastei unsichtbar verborgen) bestehen solche in einer Vielzahl – als eingemauerte Bruchsteine.
Die Herrscher des Mittelalters kümmerten sich bekanntlich wenig um die jüdische Bevölkerung. Im Zusammenhang mit der neu gegründeten Stadt Neustadt war es ihnen wichtig, dass sie wachsen und sich als Grenzstadt etablieren konnte. Um dies zu gewährleisten, gab man ihr besondere Rechte (zum Beispiel das Marktrecht, das Münzrecht und die Mautfreiheit), die sie zu einer wichtigen Handelsstadt werden ließen.
Genau deshalb wurde die Neustadt auch für die jüdischen Händler interessant. In Niederösterreich waren Juden neben Geldleihgeschäften vor allem im Weinhandel und im Handel mit Spezereien tätig. In der Neustadt fanden sie demnach einen guten Handelsstützpunkt. Hier nicht nur Handel zu betreiben, sondern sich auch anzusiedeln, bekam für die jüdische Bevölkerung natürlich Sinn, als sich die Möglichkeit bot, hier den eigenen Glauben zu leben. Die Synagoge wurde zum wichtigen Kernpunkt des wachsenden jüdischen Viertels. In dieser frühen Zeit gab es nur in Wien, Krems und Wiener Neustadt Friedhöfe, was der jüdischen Gemeinde der Neustadt wiederum eine zentrale Rolle gab.
Im 14. und 15. Jahrhundert befand sich in der Neustadt eine Talmudschule (Jeschiwa). Das Bestehen einer Jeschiwa ließ den Standort zu einem Bildungszentrum von überregionaler Bedeutung werden. Talmud-Studenten aus ganz Mitteleuropa kamen in die Neustadt, um hier bei Rabbinern zu lernen. Rabbi Schalom ben Isaak war zum Beispiel die zentrale Persönlichkeit des jüdischen Lebens vor der „Wiener Gesera“ (dem sogenannten Wiener Verhängnis) 1420/21, die übrigens ohne Auswirkung auf die Neustadt blieb. In der Mitte des 15. Jahrhunderts kam Israel bar Petachja (Isserlein) in die Neustadt und mit ihm wurde sie zum Mittelpunkt rabbinischer Gelehrsamkeit im späten Mittelalter.
Jüdische Händler aus der Neustadt pflegten im Spätmittelalter beispielsweise Handelsbeziehungen nach Wien, Ödenburg und Venedig. Zu den gefragten sogenannten „Venedigerwaren“ zählten Gewürze, Zucker, Glas und anderes. Im Allgemeinen war der Handel mit Wein, Vieh, Getreide, Öl, Leder, Leinen und Tuch bedeutsam.
Nachdem Kaiser Friedrich III. von 1440 bis 1493 in der Neustadt seine Residenz hatte und das Judenviertel wegen des großen Zuzugs auf seine maximale Größe herangewachsen war, endete die Geschichte der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde mit Maximilian I., der 1496 mittels eines Ausweisungsbefehls die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus der Stadt befahl.
Quellen/Literatur:
Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010.