Wohn- und Geschäftshaus - Ungargasse 2 - Dr. Bauer
ErinnerungsortWohn- und Geschäftshaus - Ungargasse 2 - Dr. Bauer
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Die ehemalige Anwaltskanzlei Bauer – Ungargasse 2 Die IKG Wiener Neustadt und ihr letzter Präsident Dr. Bauer Das Staatsgrundgesetz von 1867 und das interkonfessionelle Gesetz vom Mai 1868 brachten für die jüdische Minderheit im Habsburgerreich die volle bürgerliche Gleichberechtigung. Juden und Jüdinnen hatten sich wieder in Wiener Neustadt ansiedeln dürfen und lebten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in angemieteten Wohnungen in Bürgerhäusern, primär in der Innenstadt und im Kapuzinerviertel (dem südwestlichen Viertel). 1869 waren es zirka 185 und 1880 schon 309 Personen mit mosaischem Religionsbekenntnis. Mit dem 4. Mai 1871 erhielt die jüdische Gemeinde Wiener Neustadt den Status einer „Israelitischen Kultusgemeinde“. Mit dem „Österreichischen Israelitengesetz“ von 1890 wurde das Verhältnis der verschiedenen Kultusgemeinden zum Staat auf eine einheitliche Rechtsgrundlage gestellt. 1892 erfolgte die Organisation der IKG Wiener Neustadt gemäß dieser neuen Rechtsgrundlage, auf der nach der Jahrhundertwende 15 Gemeinden mit ihrem jeweiligen Kultussprengel in Niederösterreich bestanden: Amstetten, Baden, Gänserndorf, Groß-Enzersdorf, Hollabrunn, Horn, Krems, Mistelbach, Mödling, Neunkirchen, St. Pölten, Stockerau, Tulln, Waidhofen/Thaya und Wiener Neustadt. Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wiener Neustadt war in den 1930er Jahren die drittgrößte Kultusgemeinde in Niederösterreich (nach der IKG Baden und der IKG Mödling). Sie bestand aus dem Stadtgebiet Wiener Neustadt und einem Verwaltungsbezirk („Sprengel“). Bei der Volkszählung von 1934 umfasste die IKG Wiener Neustadt 886 Personen mit mosaischem Religionsbekenntnis. 685 Menschen lebten in Wiener Neustadt, 30 in Oberwaltersdorf, 20 in Ebreichsdorf, 14 in Erlach, 11 in Katzelsdorf, 10 in Pernitz, 10 in Weigelsdorf, 9 in Ebenfurth, 9 in Gramatneusiedl und die restlichen 88 in vielen anderen kleinen Dörfern des Kultussprengels. Vor dem „Anschluss“ 1938 waren Prof. Dr. Heinrich Weiss als Rabbiner, Hugo Reininger als Vorstand der Gemeinde, Moritz Schulhof als Oberkantor und Schächter, Leo Löwy als Kantor, Heinrich Löwy als Religionslehrer, Karl Schlesinger als Tempeldiener und Philipp Sinai als Friedhofsaufseher aktiv. Neben der Synagoge, dem Bethaus, dem Schächthaus, dem privaten Koppel-Bethaus, dem Matrikenamt (Hauptplatz 11) und dem Friedhof gab es keine weiteren Einrichtungen der örtlichen IKG. Ein Reinigungsbad (Mikwe) ist in Akten der IKG zwar ausgewiesen, aber ihr Standort heute unbekannt. Nach dem „Anschluss“ erfolgte die erste Fluchtbewegung von Juden und Jüdinnen aus Wiener Neustadt. Die IKG zerfiel mit der Ausreise von Oberrabbiner Dr. Heinrich Weiss, der im August 1938 offiziell „auf Urlaub“ ging, und des Vorstandes Hugo Reininger, der im Oktober 1938 als „abgewandert“ vermerkt wurde. Bald konnte die organisatorische und religiöse Tätigkeit nicht mehr aufrechterhalten werden. Zurück blieb im Herbst 1938 der Rechtsanwalt Dr. Leopold Bauer, der als letzter „Vorstand“ („Vorsteher“) die verbleibenden organisatorischen Agenden der IKG führte. Dr. Weiss und Dr. Bauer, dessen Anwaltskanzlei in der Ungargasse 2 war, hatten sich über Monate bemüht, die Mitglieder der jüdischen Gemeinde zu unterstützen, sei es beispielsweise durch Empfehlungsschreiben (für die Fürsorge oder Ausreise-Abwicklungen) oder gegenüber NS-Behörden (für finanzielle Unterstützungen). Vor der „Reichskristallnacht“ konnte Dr. Bauers älteste Tochter Irma die „Ostmark“ verlassen und gelangte gesund nach Palästina, während die Familie aus Wiener Neustadt vertrieben wurde. 1942 wurden Dr. Leopold Bauer, seine Gattin Emma und die beiden Kinder Ernst und Susanne deportiert und ermordet, höchstwahrscheinlich in Sobibor. Quellen/Literatur: Werner Sulzgruber, Die jüdische Gemeinde Wiener Neustadt. Von ihren Anfängen bis zu ihrer Zerstörung, Wien 2005. Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010. Werner Sulzgruber, Lebenslinien. Jüdische Familien und ihre Schicksale. Eine biografische Reise in die Vergangenheit von Wiener Neustadt, Wien/Horn 2013.
Wohnhaus - Schlöglgasse 3 - Kantoren-Familie Schulhof
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Die ehemalige Anwaltskanzlei Bauer – Ungargasse 2
Die IKG Wiener Neustadt und ihr letzter Präsident Dr. Bauer
Das Staatsgrundgesetz von 1867 und das interkonfessionelle Gesetz vom Mai 1868 brachten für die jüdische Minderheit im Habsburgerreich die volle bürgerliche Gleichberechtigung. Juden und Jüdinnen hatten sich wieder in Wiener Neustadt ansiedeln dürfen und lebten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in angemieteten Wohnungen in Bürgerhäusern, primär in der Innenstadt und im Kapuzinerviertel (dem südwestlichen Viertel). 1869 waren es zirka 185 und 1880 schon 309 Personen mit mosaischem Religionsbekenntnis.
Mit dem 4. Mai 1871 erhielt die jüdische Gemeinde Wiener Neustadt den Status einer „Israelitischen Kultusgemeinde“. Mit dem „Österreichischen Israelitengesetz“ von 1890 wurde das Verhältnis der verschiedenen Kultusgemeinden zum Staat auf eine einheitliche Rechtsgrundlage gestellt. 1892 erfolgte die Organisation der IKG Wiener Neustadt gemäß dieser neuen Rechtsgrundlage, auf der nach der Jahrhundertwende 15 Gemeinden mit ihrem jeweiligen Kultussprengel in Niederösterreich bestanden: Amstetten, Baden, Gänserndorf, Groß-Enzersdorf, Hollabrunn, Horn, Krems, Mistelbach, Mödling, Neunkirchen, St. Pölten, Stockerau, Tulln, Waidhofen/Thaya und Wiener Neustadt.
Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wiener Neustadt war in den 1930er Jahren die drittgrößte Kultusgemeinde in Niederösterreich (nach der IKG Baden und der IKG Mödling). Sie bestand aus dem Stadtgebiet Wiener Neustadt und einem Verwaltungsbezirk („Sprengel“). Bei der Volkszählung von 1934 umfasste die IKG Wiener Neustadt 886 Personen mit mosaischem Religionsbekenntnis. 685 Menschen lebten in Wiener Neustadt, 30 in Oberwaltersdorf, 20 in Ebreichsdorf, 14 in Erlach, 11 in Katzelsdorf, 10 in Pernitz, 10 in Weigelsdorf, 9 in Ebenfurth, 9 in Gramatneusiedl und die restlichen 88 in vielen anderen kleinen Dörfern des Kultussprengels.
Vor dem „Anschluss“ 1938 waren Prof. Dr. Heinrich Weiss als Rabbiner, Hugo Reininger als Vorstand der Gemeinde, Moritz Schulhof als Oberkantor und Schächter, Leo Löwy als Kantor, Heinrich Löwy als Religionslehrer, Karl Schlesinger als Tempeldiener und Philipp Sinai als Friedhofsaufseher aktiv. Neben der Synagoge, dem Bethaus, dem Schächthaus, dem privaten Koppel-Bethaus, dem Matrikenamt (Hauptplatz 11) und dem Friedhof gab es keine weiteren Einrichtungen der örtlichen IKG. Ein Reinigungsbad (Mikwe) ist in Akten der IKG zwar ausgewiesen, aber ihr Standort heute unbekannt.
Nach dem „Anschluss“ erfolgte die erste Fluchtbewegung von Juden und Jüdinnen aus Wiener Neustadt. Die IKG zerfiel mit der Ausreise von Oberrabbiner Dr. Heinrich Weiss, der im August 1938 offiziell „auf Urlaub“ ging, und des Vorstandes Hugo Reininger, der im Oktober 1938 als „abgewandert“ vermerkt wurde. Bald konnte die organisatorische und religiöse Tätigkeit nicht mehr aufrechterhalten werden. Zurück blieb im Herbst 1938 der Rechtsanwalt Dr. Leopold Bauer, der als letzter „Vorstand“ („Vorsteher“) die verbleibenden organisatorischen Agenden der IKG führte. Dr. Weiss und Dr. Bauer, dessen Anwaltskanzlei in der Ungargasse 2 war, hatten sich über Monate bemüht, die Mitglieder der jüdischen Gemeinde zu unterstützen, sei es beispielsweise durch Empfehlungsschreiben (für die Fürsorge oder Ausreise-Abwicklungen) oder gegenüber NS-Behörden (für finanzielle Unterstützungen).
Vor der „Reichskristallnacht“ konnte Dr. Bauers älteste Tochter Irma die „Ostmark“ verlassen und gelangte gesund nach Palästina, während die Familie aus Wiener Neustadt vertrieben wurde. 1942 wurden Dr. Leopold Bauer, seine Gattin Emma und die beiden Kinder Ernst und Susanne deportiert und ermordet, höchstwahrscheinlich in Sobibor.
Quellen/Literatur:
Werner Sulzgruber, Die jüdische Gemeinde Wiener Neustadt. Von ihren Anfängen bis zu ihrer Zerstörung, Wien 2005.
Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert, Wien 2010.
Werner Sulzgruber, Lebenslinien. Jüdische Familien und ihre Schicksale. Eine biografische Reise in die Vergangenheit von Wiener Neustadt, Wien/Horn 2013.