Follow the Codes - ab- und zugewandt

Erinnerungsort

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Hauptplatz (Mariensäule) „ab- und zugewandt“ Der Rechtsanwalt Dr. Leopold Bauer (Kanzlei Ungargasse 2) war der letzte Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wiener Neustadt, er hatte sein Amt noch im Oktober 1938 übernommen, ohne ahnen zu können, was sich im darauffolgenden Monat und in der Folge ereignen könnte. Mit bestem Gewissen und unter großem Zeitaufwand versuchte er den Jüdinnen und Juden der IKG zu helfen, auch noch in jener Zeit, als die Familie selbst in Wien Unterschlupf hatte suchen müssen. Bauers älteste Tochter Irma war schon vor der „Reichskristallnacht“ außer Landes gekommen und hatte gesund Palästina erreicht. Ihr Kontakt zur Familie brach ab. Wie jene später erfahren sollte, waren Vater Leopold, Mutter Emma, ihr jüngerer Bruder Ernst und ihre jüngere Schwester Susanne 1942 von Wien nach Włodawa deportiert und in Sobibor ermordet worden. Sie verarbeitete ihr Trauma des Verlusts von Eltern und Geschwistern unter anderem dadurch, nicht mehr an die deutsche Sprache erinnert werden zu wollen und selbst nicht mehr deutsch zu sprechen. „Verstoßen von Österreich“, sah es Irma als sinnvoll an, ihre Kinder nur „hebräisch zu erziehen“. Sie wollte nie mehr einen Fuß auf österreichischen Boden setzen. Diese Form des Abwendens und Hintersichlassens war eine Form der Verarbeitung bei vielen Shoah-Überlebenden und Hinterbliebenen. Im jungen Israel gab es zahlreiche Probleme des täglichen Lebens, auf die sich die Aufmerksamkeit richtete; „für ein Zurückschauen gab es keine Zeit“. Irma erzählte ihren Kindern nichts über ihre Vergangenheit.  Erst in den späten 1980ern kam sie einmal mit ihrem Mann nach Wiener Neustadt und an die Orte ihrer Kindheit ‒ eine für sie höchst schmerzliche Erfahrung. 1995 kam es durch eine Einladung zur „Woche der Begegnung“ [vgl. Station 7] in Wiener Neustadt zu ihrer „Umwandlung“, wie sie selbst meinte. Hatte sie sich bislang aus verständlichen Gründen abgewandt, wandte sie sich nun im Alter wieder ihrer Geschichte zu, mehr noch, sie wollte alles erzählen. Ihre Veränderung bewirkte auch innerhalb ihrer Familie eine Änderung und Prägung: Irmas Sohn David schlug einen außergewöhnlichen beruflichen Weg ein, denn er widmete sich fortan den Themen der Shoah, ihren Folgen, der kontroversen Sicht von Juden und Arabern auf die Geschichte „ihres“ Landes, der Völkerverständigung und der Erinnerungsarbeit. Seit inzwischen fast 20 Jahren arbeitet er im „Center for Humanistic Education“ am „Ghetto Fighters‘ House Museum“ in Israel und gestaltet Seminare für Pädagogen/innen aus aller Welt. Seine Mutter Irma stellte sich bis zu ihrem Tod als Shoah-Überlebende und Zeitzeugin in den Dienst der Sache und setzte sich letztlich dafür ein, dass entsprechende Kenntnisse über die Vergangenheit bestehen und vermittelt werden. Am Hauptplatz 22 befand sich das Gemischtwarenhandelsgeschäft „Koppel & Stenzel“. Die Familie Koppel war eine jüdische Großfamilie orthodoxer Prägung. Ein Familienmitglied, nämlich Carmen (*1915, Wr. Neustadt), Tochter von Emil und Frieda Koppel, überlebte die Shoah nur deshalb, weil sie dem Fabrikanten Oskar Schindler begegnete. Schindler wählte sie im Oktober 1944 im KZ Plaszow als jüdische Zwangsarbeiterin für seine Emailwaren-Fabrik aus und machte sie zu einer seiner Sekretärinnen. Carmen (verwitwete Weitmann) schrieb „Schindlers Liste“, also jene Namensliste von rund 1.200 Jüdinnen und Juden, die Schindler vor dem sicheren Tod rettete. Das Thema bzw. das Handeln Schindlers wurde von Steven Spielberg verfilmt: „Schindler’s List“ (1993).

Follow the Codes - Blum-reiche Familienverhältnisse

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Hauptplatz (Mariensäule)

„ab- und zugewandt“

Der Rechtsanwalt Dr. Leopold Bauer (Kanzlei Ungargasse 2) war der letzte Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wiener Neustadt, er hatte sein Amt noch im Oktober 1938 übernommen, ohne ahnen zu können, was sich im darauffolgenden Monat und in der Folge ereignen könnte. Mit bestem Gewissen und unter großem Zeitaufwand versuchte er den Jüdinnen und Juden der IKG zu helfen, auch noch in jener Zeit, als die Familie selbst in Wien Unterschlupf hatte suchen müssen. Bauers älteste Tochter Irma war schon vor der „Reichskristallnacht“ außer Landes gekommen und hatte gesund Palästina erreicht. Ihr Kontakt zur Familie brach ab. Wie jene später erfahren sollte, waren Vater Leopold, Mutter Emma, ihr jüngerer Bruder Ernst und ihre jüngere Schwester Susanne 1942 von Wien nach Włodawa deportiert und in Sobibor ermordet worden.

Sie verarbeitete ihr Trauma des Verlusts von Eltern und Geschwistern unter anderem dadurch, nicht mehr an die deutsche Sprache erinnert werden zu wollen und selbst nicht mehr deutsch zu sprechen. „Verstoßen von Österreich“, sah es Irma als sinnvoll an, ihre Kinder nur „hebräisch zu erziehen“. Sie wollte nie mehr einen Fuß auf österreichischen Boden setzen.

Diese Form des Abwendens und Hintersichlassens war eine Form der Verarbeitung bei vielen Shoah-Überlebenden und Hinterbliebenen. Im jungen Israel gab es zahlreiche Probleme des täglichen Lebens, auf die sich die Aufmerksamkeit richtete; „für ein Zurückschauen gab es keine Zeit“. Irma erzählte ihren Kindern nichts über ihre Vergangenheit. 

Erst in den späten 1980ern kam sie einmal mit ihrem Mann nach Wiener Neustadt und an die Orte ihrer Kindheit ‒ eine für sie höchst schmerzliche Erfahrung. 1995 kam es durch eine Einladung zur „Woche der Begegnung“ [vgl. Station 7] in Wiener Neustadt zu ihrer „Umwandlung“, wie sie selbst meinte. Hatte sie sich bislang aus verständlichen Gründen abgewandt, wandte sie sich nun im Alter wieder ihrer Geschichte zu, mehr noch, sie wollte alles erzählen.

Ihre Veränderung bewirkte auch innerhalb ihrer Familie eine Änderung und Prägung: Irmas Sohn David schlug einen außergewöhnlichen beruflichen Weg ein, denn er widmete sich fortan den Themen der Shoah, ihren Folgen, der kontroversen Sicht von Juden und Arabern auf die Geschichte „ihres“ Landes, der Völkerverständigung und der Erinnerungsarbeit. Seit inzwischen fast 20 Jahren arbeitet er im „Center for Humanistic Education“ am „Ghetto Fighters‘ House Museum“ in Israel und gestaltet Seminare für Pädagogen/innen aus aller Welt.

Seine Mutter Irma stellte sich bis zu ihrem Tod als Shoah-Überlebende und Zeitzeugin in den Dienst der Sache und setzte sich letztlich dafür ein, dass entsprechende Kenntnisse über die Vergangenheit bestehen und vermittelt werden.

Am Hauptplatz 22 befand sich das Gemischtwarenhandelsgeschäft „Koppel & Stenzel“. Die Familie Koppel war eine jüdische Großfamilie orthodoxer Prägung. Ein Familienmitglied, nämlich Carmen (*1915, Wr. Neustadt), Tochter von Emil und Frieda Koppel, überlebte die Shoah nur deshalb, weil sie dem Fabrikanten Oskar Schindler begegnete. Schindler wählte sie im Oktober 1944 im KZ Plaszow als jüdische Zwangsarbeiterin für seine Emailwaren-Fabrik aus und machte sie zu einer seiner Sekretärinnen. Carmen (verwitwete Weitmann) schrieb „Schindlers Liste“, also jene Namensliste von rund 1.200 Jüdinnen und Juden, die Schindler vor dem sicheren Tod rettete. Das Thema bzw. das Handeln Schindlers wurde von Steven Spielberg verfilmt: „Schindler’s List“ (1993).

Bilder

Nahaufnahme der östlichen Aus- und Einfahrt (Ungargasse) auf den Hauptplatz, 1938-43

Datierung: 1938-43 Quelle: Sammlung Heinrich Witetschka Autor: Verlag Kuderna Copyright: Verlag Kuderna Zusatzinfo: Postkarte - Ausschnitt

Breiterer Blick auf den östlichen Hauptplatz und die noch schmale Ungargasse, 1915

Datierung: 1915 Quelle: Sammlung Rudolf Setznagl Autor: Verlag Sperling, Wien Copyright: Verlag Sperling Zusatzinfo: Postkarte

Rechtsanwalt Dr. Leopold Bauer, letzter Vorsteher der IKG Wr. Neustadt, 1939

Datierung: 09.02.1939 Quelle: Nachlass Irma Bauer Autor: unbekannt Copyright: David Netzer Zusatzinfo: Fotografie

Kinder der Familie Bauer: Ernst, Irma und Susanne, Wr. Neustadt, August 1938

Datierung: 1938 Quelle: Nachlass Irma Bauer Autor: unbekannt Copyright: David Netzer Zusatzinfo: Fotografie

Susanne Bauer vor der Deportation, Wien, 1939

Datierung: 1939 Quelle: Nachlass Irma Bauer Autor: unbekannt Copyright: David Netzer Zusatzinfo: Fotografie

Blick in die Grazer Straße auf das zerstörte Haus Ungargasse 2, 1950er Jahre

Im Haus Ungargasse 2 hatte Rechtsanwalt Dr. Bauer bis 1938 seine Kanzlei.
Datierung: 1950er Jahre Quelle: Sammlung Rudolf Setznagl Autor: unbekannt Zusatzinfo: Fotografie - Ausschnitt

Irma Bauer mit ihren beiden Kindern in ihrer neuen Heimat Israel, o. J.

Datierung: o. J. Quelle: Nachlass Irma Bauer Autor: unbekannt Copyright: David Netzer Zusatzinfo: Fotografie

Irma Bauer (Batja Netzer), 1995

Datierung: 1995 Quelle: Sammlung Helmuth Eiwen Autor: unbekannt Copyright: Ichthys-Gemeinde Zusatzinfo: Fotografie - Ausschnitt

David Netzer mit Annemarie Höfer und seiner Schwester, Hohe Wand, 2019

Datierung: 2019 Quelle: Sammlung Annemarie Höfer Autor: unbekannt Copyright: Annemarie Höfer Zusatzinfo: Fotografie

Uniformierte Truppe vor dem Gemischtwarengeschäft „Koppel & Stenzel“ am Hauptplatz 22, vor 1938

Datierung: vor 1938 Quelle: Nachlass Tomann Autor: Viktor Tomann Copyright: Regina Dollinger Zusatzinfo: Fotografie

Adolf-Hitler-Bildnis am östlichen Hauptplatz, 1938

Datierung: 1938 Quelle: Sammlung Rudolf Setznagl Autor: unbekannt Zusatzinfo: Fotografie

Teil der berühmten „Schindler’s Liste“ mit Carmens Namen (Carmen Weitmann), 1945

Datierung: 1945 Quelle: Archiv Yad Vashem Autor: unbekannt Zusatzinfo: Fotografie

Carmen „Mimi“ Reinhard, geborene Koppel, verwitwete Weitmann, 2007

Datierung: 2007 Quelle: NYT Copyright: James Estrin/The New York Times Zusatzinfo: Fotografie - Ausschnitt