Der südwestliche Eckturm der mittelalterlichen Neustadt
ErinnerungsortDer südwestliche Eckturm der mittelalterlichen Neustadt
47.810610
16.238406
Schubertweg Der südwestliche Eckturm der mittelalterlichen Neustadt Wiener Neustadt war 1192 gegründet worden und ist eine genau geplante Stadt. An jeder Spitze der als Viereck angelegten Stadtmauer wurde ein Eckturm errichtet. In einer Beschreibung der Neustadt aus dem Jahre 1487 heißt es zu den Befestigungen beispielsweise: „Die Gräben der Stadt sind weit und tief, und zu beiden Seiten mit Quadersteinen eingefaßt, in solcher Ordnung, daß sie einem Meer gleich sehen, und eine große Menge von Fischen ziehen, die Stadt ist viereckig, wie auch die Stadtthöre. Wenn du mitten auf dem Markt stehest, kannst du alle Thöre sehen, und hat ein jedes Thor seine eigene Vorstadt mit schönen Gebäuden, welche gleichfalls mit einem Bollwerk und mit Gräben versehen sind. Um die Mauern hat es drei Gräben, und ringsum viele Thürme; bei einem jeden Eck der Mauern hat es feste Basteien außerhalb des Wassergrabens.“ Tatsächlich war die Stadt nicht nur mit zahlreichen Wehrtürmen und einer hohen Umfassungsmauer stark befestigt, sondern auch jedes der vier Tore hatte einen Turm. Nach wenigen Metern auf dem Schubertweg in den Stadtpark erblickt man auf der linken Seite den südwestlichen Eckturm der mittelalterlichen Neustadt. Im Gegensatz zum „Reckturm“ (dem nordwestlichen Eckturm) fügt sich dieser Wehrturm fast genau in die Ausrichtung der West- und Süd-Stadtmauer ein. Die 2017 freigelegte vorgelagerte Zwingermauer folgt genau dem Verlauf der Stadtmauer. Im 15. Jahrhundert, als der ungarische König Matthias Corvinus die Neustadt belagerte und schließlich eroberte, wurde der Turm 1487 zerstört. Um 1500 kam es zum Wiederaufbau, allerdings nicht mehr mit den Buckelquader-Steinen (drei Scharen sind sichtbar), wie sie noch um 1200 Verwendung gefunden hatten. Vielen ist dieser Platz deshalb ein Begriff, weil sich zum einen seltene hebräische Grabsteine neben dem Turm befinden und weil hier über viele Jahre ein Gehege für Bären („Bärenzwinger“) war, das Schaulustige gerne besuchten und 2017 abgerissen wurde. Die hohe Schutzmauer begrenzt an dieser Stelle auch ein unterirdisches Bauwerk aus dem 16. Jahrhundert: nämlich die unterirdischen Geschützrampen der (Kapuziner-)Bastei sowie die östlich anschließenden eigentlichen Kasematten, einen großflächigen Gewölbebau mit vielen Verzweigungen und 37 Räumen, umhüllt von einer dicken Erdschichte. Diese für ihre Zeit moderne Verteidigungsanlage war vom Baumeister Johann Tscherte, seinerseits Zeitgenossen von Albrecht Dürer, geplant worden. Die Kasematten dienten sowohl zur Aufbewahrung von Waffen, Munition und Pulver als auch zum Schutz der Soldaten und Pferde. Der Bau hielt aufgrund seiner meterdicken Erdschichte der feindlichen Artillerie stand und man konnte sich in der Verteidigungsanlage – mit einer Fläche von rund 2.700 m2 – für Ausfälle vorbereiten. Die gesamte Anlage war durch Schächte belüftet worden. Über unterirdische Geschützrampen transportiert man die Kanonen auf die Geschützterrassen der Bastei. In den unterirdischen Bereich der Bastei bzw. die Kasematten gelangt man – über ein eindrucksvolles Renaissance-Portal – von der Bahngasse aus. Ein Wappenstein mit den Wappen des Herzogtums Österreich (rechts oben), Tirol (links oben) und Wiener Neustadt (mittig unten) sowie der Jahreszahl 1557 krönt den Portalbogen. In der Bastei führt ein Weg auch in die Basis des südwestlichen Eckturms, wo im untersten Innenraum alle Wände als „opus spicatum“ ausgeführt sind: schräg gesetzte Plattenreihen. Bei diesem im Ährenform gesetzten Mauersteinverband handelt es sich um eine klassische hochmittelalterliche Mauertechnik. Auf diese Weise konnten, trotz unterschiedlich großem Stein-Material, gleichmäßig hohe Mauerschichten gebaut werden. Die konsequente Ausführung des opus spicatum an der Stadtmauer von Wiener Neustadt ist sowohl in der Region als auch darüber hinaus einzigartig. Im 16. Jahrhundert kam es – zeitgleich mit Wien (wo übrigens Johann Tscherte ebenfalls wirkte) – zum Ausbau der gesamten Befestigungsanlage in der Neustadt. Man orientierte sich am damals zeitgemäßen Festungsbau mittels Basteien, also weit vorspringenden Verteidigungsbastionen, wie sie uns vor allem aus der späteren Zeit der Türkenkriege und der Zweiten Wiener Türkenbelagerung ein Begriff sind. Zu diesem Zweck mussten hohe Erdaufschüttungen gemacht und massive vorgelagerte Bollwerke erbaut werden, die über einen Wall mit der vorhandenen Stadtmauer verbunden waren. Auf diese Weise entstand beispielsweise beim SW-Eckturm eine dieser Basteien: die Kapuziner-Bastei (später auch Grübelschanze genannt). Als Baumaterial verwendete man für das dortige Vorwerk sogar Grabsteine des ehemaligen jüdischen Friedhofs (nachdem die jüdische Bevölkerung der Neustadt Ende des 15. Jahrhunderts vertrieben worden war und man den Friedhof zerstört hatte, um das Schussfeld nach Süden freizumachen). Bei Ausgrabungen im September 2017 wurden nicht nur Bestandteile des Vorwerkes entdeckt, sondern man stieß auch auf eine ganze Reihe von eingemauerten Grabstein-Bruchstücken mit hebräischen Schriftzeichen. Im 19. Jahrhundert wurde in den Kasematten Hopfen und Malz für die lokale Bierproduktion gelagert. Während des Zweiten Weltkriegs baute man die Anlage zu einem großen Luftschutzraum aus. Eine sogenannte „Gasschleuse“ befindet sich hinter der eisernen Türe (mit spätromanischem Bogen) nördlich bzw. links des südwestlichen Eckturms. Anmerkung: Der südwestliche Eckturm wird in der Literatur und in schriftlichen Quellen (wie der „Jakober-Turm“ bei der Kapuziner Kirche) als „Brüder-Turm“ bezeichnet, was zu Verwechslungen führt. Tipps für nahe Sehenswürdigkeiten: - Kasematten - Jüdische Grabsteine an der westlichen Stadtmauer beim SW-Eckturm - Matthias-Corvinus-Denkmal am Schubertweg im Stadtpark - Musikpavillon im westlichen Stadtpark Weitere Informationen zum Luftschutzraum in den Kasematten: http://www.zeitgeschichte-wn.at/stadt-spaziergaenge/kleiner-stadtspaziergang-1938-1945/pplace/229?pfadid=1 (Teil des Online-Stadtspaziergangs 1938-1945 auf TOWN) Video zu den Kasematten: http://www.wntv.at/page/video/MTU1Mjk4 (2016) Quellen/Literatur: Ferdinand Carl Böheim, Chronik von Wiener-Neustadt. Wien 1830. Gerhard Geissl, Denkmäler in Wiener Neustadt. Orte des Erinnerns. Berndorf 2013. Gertrude Gerhartl, Wiener Neustadt. Wien/München 1983 [Niederösterreichischer Kulturführer]. Erwin Reidinger, Planung oder Zufall. Wiener Neustadt 1192. Wiener Neustadt 1995. Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert. Wien 2010.
Das Ruthner`sche Turmgewächshaus – Urbane Landwirtschaft in Wiener Neustadt
47.810200
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Das Ruthner`sche Turmgewächshaus – Urbane Landwirtschaft in Wiener Neustadt

Schubertweg
Der südwestliche Eckturm der mittelalterlichen Neustadt
Wiener Neustadt war 1192 gegründet worden und ist eine genau geplante Stadt. An jeder Spitze der als Viereck angelegten Stadtmauer wurde ein Eckturm errichtet.
In einer Beschreibung der Neustadt aus dem Jahre 1487 heißt es zu den Befestigungen beispielsweise: „Die Gräben der Stadt sind weit und tief, und zu beiden Seiten mit Quadersteinen eingefaßt, in solcher Ordnung, daß sie einem Meer gleich sehen, und eine große Menge von Fischen ziehen, die Stadt ist viereckig, wie auch die Stadtthöre. Wenn du mitten auf dem Markt stehest, kannst du alle Thöre sehen, und hat ein jedes Thor seine eigene Vorstadt mit schönen Gebäuden, welche gleichfalls mit einem Bollwerk und mit Gräben versehen sind. Um die Mauern hat es drei Gräben, und ringsum viele Thürme; bei einem jeden Eck der Mauern hat es feste Basteien außerhalb des Wassergrabens.“
Tatsächlich war die Stadt nicht nur mit zahlreichen Wehrtürmen und einer hohen Umfassungsmauer stark befestigt, sondern auch jedes der vier Tore hatte einen Turm.
Nach wenigen Metern auf dem Schubertweg in den Stadtpark erblickt man auf der linken Seite den südwestlichen Eckturm der mittelalterlichen Neustadt. Im Gegensatz zum „Reckturm“ (dem nordwestlichen Eckturm) fügt sich dieser Wehrturm fast genau in die Ausrichtung der West- und Süd-Stadtmauer ein. Die 2017 freigelegte vorgelagerte Zwingermauer folgt genau dem Verlauf der Stadtmauer. Im 15. Jahrhundert, als der ungarische König Matthias Corvinus die Neustadt belagerte und schließlich eroberte, wurde der Turm 1487 zerstört. Um 1500 kam es zum Wiederaufbau, allerdings nicht mehr mit den Buckelquader-Steinen (drei Scharen sind sichtbar), wie sie noch um 1200 Verwendung gefunden hatten.
Vielen ist dieser Platz deshalb ein Begriff, weil sich zum einen seltene hebräische Grabsteine neben dem Turm befinden und weil hier über viele Jahre ein Gehege für Bären („Bärenzwinger“) war, das Schaulustige gerne besuchten und 2017 abgerissen wurde.
Die hohe Schutzmauer begrenzt an dieser Stelle auch ein unterirdisches Bauwerk aus dem 16. Jahrhundert: nämlich die unterirdischen Geschützrampen der (Kapuziner-)Bastei sowie die östlich anschließenden eigentlichen Kasematten, einen großflächigen Gewölbebau mit vielen Verzweigungen und 37 Räumen, umhüllt von einer dicken Erdschichte. Diese für ihre Zeit moderne Verteidigungsanlage war vom Baumeister Johann Tscherte, seinerseits Zeitgenossen von Albrecht Dürer, geplant worden. Die Kasematten dienten sowohl zur Aufbewahrung von Waffen, Munition und Pulver als auch zum Schutz der Soldaten und Pferde. Der Bau hielt aufgrund seiner meterdicken Erdschichte der feindlichen Artillerie stand und man konnte sich in der Verteidigungsanlage – mit einer Fläche von rund 2.700 m2 – für Ausfälle vorbereiten. Die gesamte Anlage war durch Schächte belüftet worden. Über unterirdische Geschützrampen transportiert man die Kanonen auf die Geschützterrassen der Bastei.
In den unterirdischen Bereich der Bastei bzw. die Kasematten gelangt man – über ein eindrucksvolles Renaissance-Portal – von der Bahngasse aus. Ein Wappenstein mit den Wappen des Herzogtums Österreich (rechts oben), Tirol (links oben) und Wiener Neustadt (mittig unten) sowie der Jahreszahl 1557 krönt den Portalbogen. In der Bastei führt ein Weg auch in die Basis des südwestlichen Eckturms, wo im untersten Innenraum alle Wände als „opus spicatum“ ausgeführt sind: schräg gesetzte Plattenreihen.
Bei diesem im Ährenform gesetzten Mauersteinverband handelt es sich um eine klassische hochmittelalterliche Mauertechnik. Auf diese Weise konnten, trotz unterschiedlich großem Stein-Material, gleichmäßig hohe Mauerschichten gebaut werden. Die konsequente Ausführung des opus spicatum an der Stadtmauer von Wiener Neustadt ist sowohl in der Region als auch darüber hinaus einzigartig.
Im 16. Jahrhundert kam es – zeitgleich mit Wien (wo übrigens Johann Tscherte ebenfalls wirkte) – zum Ausbau der gesamten Befestigungsanlage in der Neustadt. Man orientierte sich am damals zeitgemäßen Festungsbau mittels Basteien, also weit vorspringenden Verteidigungsbastionen, wie sie uns vor allem aus der späteren Zeit der Türkenkriege und der Zweiten Wiener Türkenbelagerung ein Begriff sind. Zu diesem Zweck mussten hohe Erdaufschüttungen gemacht und massive vorgelagerte Bollwerke erbaut werden, die über einen Wall mit der vorhandenen Stadtmauer verbunden waren. Auf diese Weise entstand beispielsweise beim SW-Eckturm eine dieser Basteien: die Kapuziner-Bastei (später auch Grübelschanze genannt). Als Baumaterial verwendete man für das dortige Vorwerk sogar Grabsteine des ehemaligen jüdischen Friedhofs (nachdem die jüdische Bevölkerung der Neustadt Ende des 15. Jahrhunderts vertrieben worden war und man den Friedhof zerstört hatte, um das Schussfeld nach Süden freizumachen). Bei Ausgrabungen im September 2017 wurden nicht nur Bestandteile des Vorwerkes entdeckt, sondern man stieß auch auf eine ganze Reihe von eingemauerten Grabstein-Bruchstücken mit hebräischen Schriftzeichen.
Im 19. Jahrhundert wurde in den Kasematten Hopfen und Malz für die lokale Bierproduktion gelagert. Während des Zweiten Weltkriegs baute man die Anlage zu einem großen Luftschutzraum aus. Eine sogenannte „Gasschleuse“ befindet sich hinter der eisernen Türe (mit spätromanischem Bogen) nördlich bzw. links des südwestlichen Eckturms.
Anmerkung: Der südwestliche Eckturm wird in der Literatur und in schriftlichen Quellen (wie der „Jakober-Turm“ bei der Kapuziner Kirche) als „Brüder-Turm“ bezeichnet, was zu Verwechslungen führt.
Tipps für nahe Sehenswürdigkeiten:
- Kasematten
- Jüdische Grabsteine an der westlichen Stadtmauer beim SW-Eckturm
- Matthias-Corvinus-Denkmal am Schubertweg im Stadtpark
- Musikpavillon im westlichen Stadtpark
Weitere Informationen zum Luftschutzraum in den Kasematten:
http://www.zeitgeschichte-wn.at/stadt-spaziergaenge/kleiner-stadtspaziergang-1938-1945/pplace/229?pfadid=1 (Teil des Online-Stadtspaziergangs 1938-1945 auf TOWN)
Video zu den Kasematten:
http://www.wntv.at/page/video/MTU1Mjk4 (2016)
Quellen/Literatur:
Ferdinand Carl Böheim, Chronik von Wiener-Neustadt. Wien 1830.
Gerhard Geissl, Denkmäler in Wiener Neustadt. Orte des Erinnerns. Berndorf 2013.
Gertrude Gerhartl, Wiener Neustadt. Wien/München 1983 [Niederösterreichischer Kulturführer].
Erwin Reidinger, Planung oder Zufall. Wiener Neustadt 1192. Wiener Neustadt 1995.
Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20. Jahrhundert. Wien 2010.